Dann war da das Fernsehen

Robert Seethaler erzählt in „Ein ganzes Leben“ vom Lieben und Leiden des Bewohners eines kleinen Bergdorfes

Manche Biographien sind so aufregend und turbulent, dass man damit tausende Buchseiten füllen kann. Andere sind so still, unaufgeregt und ereignislos, dass man sie problemlos und ohne Abstriche machen zu müssen auf sehr viel weniger Seiten unterbringen kann. Robert Seethaler hat sich in Ein ganzes Leben solch eine Biographie ausgedacht und keine 160 Seiten dafür gebraucht, sie niederzuschreiben.

Andreas Egger heißt der Mann, um den es geht. Sein Leben gleicht einer Passionsgeschichte, die ohne Murren ertragen wird. Der Roman setzt an dem Punkt an, an dem Egger vier Jahre alt ist und bei einem Bauern in einem kleinen Bergdorf untergebracht wird. Dieser nimmt ihn nur widerwillig auf, schlägt ihn und erzieht ihn zu einer niemals Widersprüche liefernden Arbeitskraft heran. Als erwachsener Mann schließt sich Egger einer Arbeitsmannschaft an, die die ersten Hochseilbahnen unter Zuhilfenahme der Sprengkraft von Dynamit errichtet. Diese neue, harte Arbeit verrichtet Andreas Egger ebenfalls, ohne sie jemals zu hinterfragen. Einzig der Wunsch nach einer Lohnerhöhung versprüht einen Hauch von Rebellionsfähigkeit.

Selbst als der zweite Weltkrieg ausgefochten wird, meldet sich der (Anti-?)Held Andreas Egger zum Wehrdienst und gibt sich freiwillig den blutigen Schlachtfeldern und den sich daraus bildenden Traumata hin. Dies erscheint im Nachhinein fast schon konsequent, denn es sind ganz andere Dinge, die das Leben des Andreas Egger gravierend erschüttern werden. So ist da zuerst die Liebe seines Lebens, ein Mädchen namens Marie, mit der er glücklich zusammen lebt ohne viele Worte zu verlieren. Leider ist dieses Glück nicht von Dauer und es wird unerwarteterweise auseinander gerissen. Eggers Umgang mit diesem Drama ist stoisch bis fast gleichgültig.

Als er sich in den besten und die Welt sich in den 1960er Jahren befindet, gibt es eine weitere Erosion und so verändert die Erfindung des Fernsehens sein Weltbild und die Menschen um ihn herum. Dieser Mikro-Essay auf drei Seiten über die Zivilisation unter Einfluss des Fernsehens ist vielleicht der Moment im Buch, der am meisten aufhorchen lässt. Zu butterweich und frei von sprachlichen Ecken und Kanten ist Seethalers fiktionale Biographie über den etwas grantigen Almöhi, als dass man diesem Buch wirklich etwas an Metaebene abgewinnen könnte.

Der Autor hat gewiss bestimmte Kniffe und Qualitäten, die es für einen guten Schriftsteller braucht. So kommt der Roman mit seiner kaum wechselnden Dorfkulisse ohne Alpenkitsch und Bergdoktor-Romantik aus. Wirklich lebendig wird das Kaff trotzdem nie, weil sich Seethaler zu sehr auf seinen Andreas Egger als Einzelkämpfer verlässt, anstatt auch den wenigen wichtigen Menschen um den Helden herum ein bisschen mehr an Handlungsspielraum und Psychologie zu gönnen. So bleiben auch die Figuren insgesamt zu untätig, um sie wirklich bewerten und etwas mit ihnen anfangen zu können.

Am Ende der ausgesprochen kurzweiligen Lektüre von Ein ganzes Leben bleibt der zwiespältige Eindruck, ein gut geschriebenes und gut gemachtes Buch gelesen zu haben, das nach Robert Seethalers großem Erfolg Der Trafikant wieder ein großes Publikum finden wird. Trotzdem kann man die vorliegenden 160 Seiten drehen und wenden wie man will, es bleibt bei der unverrückbaren Feststellung: irgendwas fehlt!

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Hanser

München 2014

160 S. – 17,90 €


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