Versuch über einen Gedichtband

Jan Wagner versammelt in seinem neuen Werk „Regentonnenvariationen“ mancherlei Tier und Pflanze aus dem Garten. Das bedeutet keinesfalls Kitsch

Wenn ich mit meinen Eltern telefoniere, erzählen sie mir immer von den Fortschritten der Pflanzen in ihrem Garten, von den Bäumen und den Nachbarn, die in etwa den gleichen Status haben wie die Bäume (nämlich: sie waren immer schon da, sind Alteingesessene, was meine Eltern inzwischen allerdings auch sind), von den Stockrosen und der Hängematte und den Freuden des Liegens in der Hängematte zwischen den Stockrosen, vom Aufstieg und Fall des Komposthaufens und von der Regentonne. Aus der Regentonne kommt sommers nämlich das Wasser, mit dem die Pflanzen im Garten gegossen werden, damit später von Fortschritten berichtet werden kann und nicht bloß von Dürre und Eingegangenem. Seit ihr weg seid (sie meint uns Kinder) verfaulen die Mirabellen, sagt meine Mutter.

Da meine Mutter auch gerne und viel liest, sogar Lyrik liest und selber schreibt, wäre es naheliegend, ihr beispielsweise zu Weihnachten oder zum nächsten Geburtstag ein Buch zu schenken, das Garten und Poesie vereint: Es heißt Regentonnenvariationen und ist der neue Gedichtband des in Berlin lebenden Lyrikers Jan Wagner. Mir war Jan Wagner unter anderem als Mit-Herausgeber von Lyrik von JETZT bekannt, einer 2003 erschienenen Anthologie von Gedichten neuer bzw. jüngerer Autor_innen. Jenseits dessen hat Wagner allerdings auch sechs eigene Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt die besagten Regentonnenvariationen bei Hanser.

Poesie des Alltäglichen

Nun ist die Kombination aus Garten und Poesie ja nichts Neues. Im Gegenteil, man kann sich eigentlich nichts Langweiligeres und Abgeschmackteres vorstellen als eben diese Kombi. Sofortige Kitschunterstellung! Allerdings macht dann frühestens das erste Gedicht, das von der gegen jeden Verdacht der poetischen Überhöhung erhabenen Stör-Pflanze Giersch handelt (Unkraut, schmeckt aber auch als Suppe), spätestens aber Titel wie versuch über mücken, versuch über zäune und versuch über servietten klar, dass es hier um eine Poesie des Alltäglichen geht, nicht um den Garten als zutiefst aufgeladene poetische Metapher. Wir haben es mit echten Pflanzen zu tun – und auch mit ganz und gar Nicht-Naturwüchsigem, wie den schon genannten Versuchsobjekten – sowie mit einer Vielzahl echter Tiere, zum Beispiel einem Pferd, einem Koala, einem Grottenolm, einer Eule, einem Tümmler und einem Dachshund, mehreren Kühen und einer nächtlichen Häsin namens Anna, die dann doch kein echtes Tier ist.

An Wagners Gedichten fällt vor allem eine offensichtliche Lust an der Sprache auf, am Klang der Worte selbst, die sich sofort überträgt und Mund und Stimme beim Vorlesen Beweglichkeit abverlangt – Kauen und Schmecken und Einlassen auf die gesamte Bandbreite möglicher Laute. (Wagner beschreibt ähnliches sogar selber in maulbeeren: „sag: maulbeeren, und wieder: maulbeeren, / so dunkel und süß / allein das wort im mund – schon sind sie wach“ – meint damit aber gleichzeitig Fledermäuse.) Man kann sich das alles auch gut als unverständliches Gemurmel vorstellen, als Einschlafsingsang in einer fremden Sprache. Schön ist es, wenn dann, wie im versuch über silberdisteln, die frühe Nacht als Schatten einer Kuh auf einen fällt. Schön auch, wenn das, was man da liest, klein und unaufgeregt lustig ist, in der nächsten Zeile vielleicht aber auch schon wieder traurig (was dazugehört): Da hat ein Mitarbeiter der Globusmanufaktur sein Pausenbrot in einer noch offenen Südhalbkugel vergessen und Tante Mia sich als Kind aus unbekannten Gründen ein Weidenkätzchen in die Nase gesteckt. Einbalsamiert und ins Laken gewickelt wird der verstorbene Großvater als Wespe wiedergefunden und man erinnert sich an jenen Sprachlosen, der in der Stadtbibliothek bis zu seiner Verbannung die Bücher fraß. Am Schönsten bleibt aber die Körperlichkeit der Wörter, die man laut vor sich hinsprechen muss: „… gerät auf schmalstem grad nicht aus dem tritt, dem takt; vorbei / am flugzeugwrack, der yetispur, / in deinem stall himalaya, / vor weißgezackten gipfeln: yak.“

Jan Wagner: Regentonnenvariationen. Gedichte.

Hanser

Berlin 2014

15,90 €


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