DOK Leipzig: Nachwuchsregisseur Bartosz Dombrowski untersucht im Dokumentarfilm „6 Degrees” die These, wonach jeder Mensch mit jedem anderem auf der Welt um sechs Ecken in Verbindung steht
Angesichts der vielen sozialen Medien, die uns heute übers Internet miteinander verbinden, klingt es sehr plausibel, dass jeder jeden auf der Welt über sechs Ecken kennen könnte. Die Sozialtheorie, die der Film 6 Degrees als Ausgangspunkt nimmt, stammt allerdings schon von 1967. Damals hat Stanley Milgram an der Harvard University mit dem Versenden von Paketen versucht, seine Theorie „Six Degrees of Separation“ (oder „Kleine-Welt-Phänomen“) zu beweisen. Obwohl die Theorie nie einwandfrei bewiesen werden konnte, macht sich Nachwuchsregisseur Bartosz Dombrowski auf eine abenteuerliche Reise.
Ausgangspunkt ist Polen und die zufällig ausgewählte Punkmusikerin Martyna. Doch wohin soll die Reise gehen? Die Koordinaten werden wie bei einer Lottoziehung ermittelt. Sie befinden sich in Mexiko, irgendwo im Nirgendwo, 11 000 Kilometer von Martyna entfernt. Dort lebt Marco Antonio mit seiner Familie auf dem Land. Das ist zunächst alles sehr unterhaltsam dargeboten und mutet an wie eine lustige Schnitzeljagd. Doch nicht nur die Schnitzeljagd soll Thema des Films sein. Der Regisseur will alle Protagonisten auch zwei Wochen mit der Kamera begleiten und von deren Leben und zwischenmenschlichen Beziehungen erzählen. Frei nach dem Motto: Hinter jedem Menschen verbirgt sich eine interessante Geschichte.
Das trifft zumindest für die ersten drei Protagonisten zu und diese nehmen dann auch den meisten Raum im Film ein. Martyna führt in Warschau ein beschaulich-chaotisches Leben: Sie steht spät auf, betrinkt sich fürchterlich, wechselt die Männer und fasziniert bei Punkkonzerten mit ihrer kratzigen Stimme. Martyna vermittelt die Filmcrew dann zum Punkveteran und heutigen Möbelmacher Marcin Miller in Großbritannien. Der entspannte Martin scheint mit sich im Reinen und schenkt dem Film ein paar grandiose Archivaufnahmen aus alten Punkzeiten. Leider wird nicht näher darauf eingegangen, woher Martyna Marcin kennt, was schade ist. Marcin wiederum kennt eine Familientherapeutin in Miami. Sylvia ist Halbpolin und hat Marcin auf einer Möbelmesse in Los Angeles kennengelernt. Hinter einer schicken Lifestyle-Fassade findet Dombrowski eine verletzte, zweifelnde und einsame Sylvia, die sich aber bereitwillig vor sie Kamera begibt. Ein weiterer Glücksfall für 6 Degrees.
Aber nach diesen emotionalen Momenten verliert der Film seine Qualitäten etwas. Plötzlich landen wir über einen ehemaligen Studienfreund von Sylvia in politische Kreise in Mexiko. Bei Guillermo und dem nächsten Kontakt Benjamin ist zwar eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden am Projekt mitzuwirken, doch das Team vermag nicht mehr näher an die Protagonisten heranzukommen. Das gilt auch für die beiden Geistlichen, die auch nur noch für ein paar Minuten im Film zu sehen sind. So werden die letzten Schritte zu Marco Antonio nur noch oberflächlich abgehakt. Auch die Verbindungen zwischen den Menschen erscheinen nun sehr konstruiert. Benjamin hat wohl auch mehrere Tage gebraucht, um den nächsten Kontakt zu finden. Beim Nachzählen der Kette fällt dann auch auf, dass das Team über sieben Menschen von Martyna zu Marco gekommen ist. Doch das ist eigentlich unwichtig.
Was hier zählt, ist die Idee und deren Umsetzung. Trotz der Schwächen in der Mitte des Films schafft es Dombrowski zum Schluss noch einmal, ein warmes Portrait von Marco Antonio und seiner Familie zu entwerfen. Die durchweg gelungene Kameraarbeit macht den Film kinotauglich. 6 Degrees ist am Ende ein kleiner, feiner Dokumentarfilm, der eine interessante Ausgangslage und einige berührende Momente hat. Darüber hinaus hinterlässt er keine tieferen Spuren.
6 Degrees
Polen 2013, 81 Minuten
Regie: Bartosz Dombrowski
Wettbewerb für Junges Kino beim 57. DOK Leipzig
Premiere: Cinestar, 29. Oktober 2014
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