Im Sog der Relativitätstheorie

Christopher Nolan holt mit „Interstellar“ die Astrophysik ins Blockbusterkino

Endlich mal wieder angezogen: Matthew McConaughey (links) in „Interstellar“. (Fotos: Warner Bros.)

Christopher Nolan und sein altbekanntes Team aus Autoren und Produzenten versuchen in der neuen cineastischen Heldensaga Interstellar, die Welt der Astrophysik ins Blockbusterkino zu holen. Das entstandene Action-Sci-Fi-Abenteuer zollt dabei Klassikern wie 2001 — Odyssee im Weltraum Tribut und scheint eine Synergie aus Signs, The Core, Contact (auch von Lynda Obst produziert) und dem Oscar-Abräumer Gravity zu sein. Die 169 Minuten Länge erscheinen zunächst wie ein unüberwindbares Hindernis; entpuppen sich aber als angebracht, um die Geschichte in seiner Gänze zu erzählen. Und bei der wird klar: Manchmal muss die Menschheit etwas zurücklassen, um vorwärts zu kommen.

Der Farmer und ehemalige NASA Pilot Cooper — gespielt von Matthew McConaughey — lebt mit seiner Familie auf dem Land. Das Setting erinnert dabei stark an die agrar-zentrierten Impressionen aus Signs. Da die Menschheit zunehmenden Hungersnöten und unwirtlichen Lebensbedingungen ins Auge blickt, sind Forscherdrang und Pioniergeist weit in den Hintergrund gerückt. Riesige Sandstürme brechen regelmäßig über das Land hinein, wie man sie sonst nur aus den Breaking News in Phoenix kennt. Leider lässt man den Zuschauer über das ganze Ausmaß der Problematik im Unklaren — lediglich der Mehltau wird als Wurzel allen Übels identifiziert.

Eines Tages entpuppt sich ein angeblicher Geist im Zimmer von Coopers‘ Tochter Murph als eine Gravitationsanomalie, die ihn direkt zur der längst vergessen geglaubten NASA führt, allen voran Professor Brand (Michael Caine) und seiner Tochter Amelia (Anne Hathaway). Eine Dekade zuvor fanden sie ein Wurmloch in der Nähe des Saturn, das den Zugang zu anderen, möglicherweise bewohnbaren Planeten, ermöglichen soll. Damals wurden zwölf Wissenschaftler losgeschickt, um diese Möglichkeiten zu sondieren und die Umsiedelung der Menschheit abzuschätzen. Jetzt soll der ehemalige NASA-Pilot Cooper mit einer 3-köpfigen Crew zu einer todesmutigen Mission aufbrechen, um die Resultate zu ernten und die vielversprechendsten Planetoiden zu erkunden. Dabei werden sie von den beiden Androiden CASE und TARS unterstützt, und vor allem Letzterer erinnert mit seiner durchaus unterhaltsamen Persönlichkeit an einen zusammengelöteten Schaltkreis aus C3PO und Marvin.

Die weiblichen Hauptfiguren des Sci-Fi-Abenteuers wirken etwas hölzern, darunter Jessica Chastain als Murph.

In hochkarätiger Besetzung reisen wir also durchs Raum-Zeit-Kontinuum, begleitet von einem mitreißenden Score aus der Feder von Hans Zimmer. Es ist erfrischend, McConaughey nach Filmen wie Magic Mike und Surfer, Dude! mal wieder angezogen zu sehen. Es scheint, als dürfte er nun auch endlich nach Jodie Foster und George Clooney den Olymp der Weltraumretter erklimmen. Leider ist sein Charakter nur nicht so edelmütig, wie wir es von extraterrestrischen Ehrenmännern wie z.B. Bruce Willis kennen. Obwohl Cooper vorgibt, im Auftrag der Menschheit zu handeln, scheinen die wahren Motive doch eher in seinem Ego zu liegen — mit einem Leben als Bauer kann sich der NASA-Pilot nämlich offensichtlich nicht abfinden. Deshalb lässt er, natürlich nicht ohne das angemessene, von Hollywood erwartete Abschiedsgeheule, einfach mal in einer Hauruck-Aktion seine Familie zurück. Selbstverständlich hat die Maisernte ihn ausreichend für einen sofortigen, mehrjährigen Aufenthalt im All gerüstet und jegliche Vorbereitung erübrigt sich.

Die weiblichen Hauptcharaktere des Films, Anne Hathaway als Dr. Brand und Jessica Chastain als die adulte Murph, erscheinen doch zuweilen etwas hölzern. Der Zuschauer mag sich fragen, ob ein Rollentausch nicht sinnvoll gewesen wäre. Trotz diverser emotionaler Eruptionen finden wir keinen richtigen Zugang zu ihrer inneren Welt. Insbesondere Dr. Brand wirkt wie eine rehäugige Version der von Sandra Bullock gespielten Dr. Stone aus Gravity und repräsentiert wohl den neuen Wissenschaftlerinnen-Stereotyp in Hollywood. Man sehnt sich doch nach Zeiten zurück, in denen Sigourney Weaver rauchend Aliens, Gorillas und Na’vi gezeigt hat, wo es lang geht. Mit diesen neuen, relativ gefühlskalten, und doch immer irgendwie labil anmutenden Frauen als wissenschaftliche Vorbilder werden wir wohl niemals fremde Planeten besiedeln.

Doch wie wir wissen, zeigt die Wissenschaft selten Erbarmen für die Protagonisten solcher Weltraumspektakel. Deshalb ist Interstellar ein sprichwörtlicher Wettlauf gegen die Zeit, die Gravitation und die menschlichen Abgründe. Wir tauchen ab in die Welt der physikalischen Theorien, in Dimensions-Konstrukte fern unserer Vorstellungskraft, in den Bewusstseinsstrom der Relativitätstheorie. Einzigartig ist dabei die Visualisierung bestimmter astrophysikalischer Konzepte — der Flug durch das Wurmloch oder die Besuche der fremden Planeten sind spektakulär und ringen einem doch das eine oder andere, mit kindlicher Begeisterung geflüsterte „Wow!“ ab. Besonders hier fragt man sich, warum bei solch einem Film mal nicht in die sonst so beliebte 3D-Technik investiert wurde. Jedoch fordert die Handlung vor allem den inneren Raketenwissenschaftler in einem und hebt sich deshalb durchaus vom Popcornkino ab, ohne seinen Unterhaltungswert zu verlieren. Auch wären wir nicht in Hollywood, wenn wir nicht auch etwas über die Kraft der Liebe lernen würden. Und am Ende erkennen wir: Manchmal muss man etwas in der Zukunft lassen, um zurück zu kommen.

Interstellar

USA/Großbritannien 2014, 169 Minuten

Regie: Christopher Nolan; Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, Michael Caine

Kinostart: 6. November 2014, Cinestar, Regina-Palast, Cineplex


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