Im falschen Leben gefangen?

„Bevor der Winter kommt“ ist ein subtiles und handwerklich einwandfreies Drama, dem es aber etwas an Leben fehlt

Zwischen dem in die Jahre gekommenen Paul (Daniel Auteuil) und der jungen Lou (Leïla Bekhti) entsteht in „Bevor der Winter kommt“ so etwas wie eine Beziehung (Foto: Polyband)

Das französische Kino erfreut sich in Deutschland größter Beliebtheit. Zahlreiche kleine Filmfestivals (unter anderem die Französischen Filmtage in Leipzig, Tübingen und Hamburg) und gute bis grandiose Besucherzahlen (Ziemlich beste Freunde: mehr als 9 Millionen Zuschauer, oder jüngst der etwas zweifelhafte Monsieur Claude und seine Töchter: 3,2 Millionen Zuschauer) sind ein Zeugnis davon. Und obwohl die Massen am liebsten in die Komödien rennen, ist es schön, dass sich französische Filme im deutschen Kino nicht über einen Kamm scheren lassen. Jeder Zuschauer wird etwas nach seinem Geschmack finden. So gehört Bevor der Winter kommt eher zu den klassischen und subtilen Dramen aus dem Nachbarland.

Paul (Daniel Auteuil) ist ein gefragter Neurochirurg. Er hat eine eigene Klinik, ein angemessenes Haus mit Waldstück und eine gut aussehende Frau (Kristin Scott Thomas), die abends ehrerbietig auf ihn wartet. Damit ist das Setting klar. Wir befinden uns im wohlsituierten Bürgertum, was schon der französische Regiealtmeister Claude Chabrol in all seinen Facetten unter die Lupe genommen hat. Ganz so intrigant wie bei Chabrol geht es beim dritten Film von Philippe Claudel allerdings nicht zu. Der Regisseur und Schriftsteller verlässt sich vielmehr auf die leisen Töne, die sein Drama anschlägt. So wird die Unzufriedenheit in Pauls Leben erst nach und nach sichtbar. Genauso langsam, aber nachdrücklich schleicht sich die aparte Lou (Leïla Bekhti) in Pauls Nähe.

Zunächst ist Lou nur die Dame hinter der Bar, die behauptet, er hätte ihr vor etlichen Jahren den Blinddarm entfernt. Die junge hübsche Frau will augenscheinlich mit Paul flirten. Er geht jedoch nicht auf diesen Anmachversuch ein. So leicht wird er Lou aber nicht los. Plötzlich tauchen bei Paul rote Rosen auf, in der Klinik und zu Hause. Dabei kann Pauls Frau Lucie Rosen partout nicht ausstehen. Die Vermutung, dass sich dahinter vielleicht eine dankbare Patientin verbirgt, ist nicht haltbar, als der Rosenstrom über Tage nicht versiegt. Die unheimliche Stimmung, die Regisseur Claudel mit diesem kleinen Kniff erschafft, bleibt den restlichen Film über bestehen.

Natürlich ist es kein Zufall, dass Lou und Paul nun immer häufiger aufeinander treffen. Zunächst geprägt von Misstrauen, entwickeln sich die Begegnungen mehr und mehr in eine vertraute Beziehung. Eine Bettszene zwischen den beiden gibt es dennoch nicht. Denn Claudel lässt im Film zwar den Topos „älterer reicher Mann verliebt sich in junge schöne Frau“ anklingen, führt ihn aber nicht zu Ende. Dieses Spiel mit Klischees und bekannten Elementen ist ein großer Pluspunkt des Films. Hier versteht jemand sein Handwerk, vergisst aber leider darüber hinaus dem Film etwas mehr Leben einzuhauchen. Alles bleibt ein bisschen trocken und spröde, die Figuren sind blutarm. Das liegt zum einen am Setting und der Dramaturgie des Films, aber auch an der Schauspielführung von Claudel. Leise, leise, klein, klein ist hier das Motto.

Die weiteren Wendungen, Geschehnisse und Geheimniskrämereien nimmt man dann als Zuschauer eher anerkennend, aber schulterzuckend zur Kenntnis. Und wenn Paul dann ganz lakonisch feststellt: „Ich lebe das falsche Leben“, weiß man, was er meint, fühlt es aber nicht.

Bevor der Winter kommt

Frankreich/Luxemburg 2013, 103 Minuten

Regie: Philippe Claudel; Darsteller: Daniel Auteuil, Kristen Scott Thomas, Leïla Bekhti

Kinostart: 13. November 2014, Passage Kinos, Cinestar


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