Der Winter im Westflügel zeigt sich von seiner magischen Seite

Die sorbische Volkssage Krabat eröffnet das Winterprogramm im nun kuschelig warmen Westflügel

Foto: Stuber

Der Winter war und ist in diesem Jahr ein vielbeschworenes Wesen und da er auch im November mit frühlingshaften Temperaturen auf sich hat warten lassen, rechnete kaum noch jemand mit seinem Erscheinen. Doch pünktlich vor Beginn der Adventszeit streckt er seine Fühler aus dem kalten Sibirien auch in unsere Breitengrade aus – schon sehnt man sich nach einem warmen Kaminfeuer, einem heißen Getränk und den zu dieser Zeit obligatorisch erzählten Märchen.

So oder ähnlich verfährt auch der Westflügel und beginnt sein Winterprogramm mit der sorbischen Volkssage Krabat, dessen Adaption durch den bekannten und erst unlängst verstorbenen Otfried Preussler zu einem der meistgelesenen Jugendbücher wurde. Nun lief dieses Figurentheaterstück unter der Regie von Christiane Zanger in Zusammenarbeit mit Wilde & Vogel, Florian Feisel sowie der Grupa Coincidentia bereits 2011 so erfolgreich, dass eine Wiederaufführung keine schlechte Idee zu sein schien. Das Publikum sieht es wohl ähnlich und erscheint an diesem Abend zahlreich.

Ohne viel Federlesens beginnt die Inszenierung mit einem unglaublich ohrenbetäubenden Getöse, dissonanten Tönen und schrägen Harmonien um die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges aufzuzeigen. Zurück bleibt ein Jugendlicher, der plötzlich sein Heim und seine Eltern verliert und mit kaum Kleidung am Leib einer ungewissen Zukunft entgegensieht. So lernt das Publikum Krabat kennen. In einer Traumsequenz verliert sich der Junge in Visionen um den Fortgang seines jungen Lebens und eine Stimme scheint ihn unerbittlich zum Koselbruch zu rufen. Der Stimme kann sich Krabat nicht erwehren und so macht er sich auf den Weg zur Schwarzen Mühle. Kaum angekommen, gerät er in die Fänge des düsteren Müllers, der ein strenges Regiment über seine Lehrlinge führt und sich mit einem Initiationsritus und starren Regeln deren Treue sichert. Dies alles geschieht in Dunkelheit mit Schattenspielen an der dafür wunderbar geeigneten Wand des Saales des Westflügels, der so die düstere Atmosphäre optimal unterstützt. Charlotte Wilde entlockt sowohl einer akustischen als auch einer elektronischen Geige so manch schrägen und auch herzerweichenden Ton und vermag mit einem im Verlauf der Inszenierung immer wiederkehrenden musikalischen Thema einen optimalen Rahmen für die Handlung zu schaffen.

Im zweiten Teil der Aufführung erfahren die Zuschauer ein wenig mehr über den geheimnisvollen Müller, nämlich wie er wurde, was er nun ist. Während des Dreißigjährigen Krieges tötet er im Kampf aus Versehen seinen besten Freund und verliert darüber schier den Verstand. In einem faustischen Pakt mit dem Tod versucht er seine Schuld zu sühnen. Zu Neujahr verlangt der Tod nach einem Leben, zu Neumond dürstet es ihm nach dem Knochenmehl der Gefallenen aus dem Dreißigjährigen Krieg. So wird aus der Mühle im Koselbruch ein düster-magischer Ort, mit einem Meister, der sich ob seiner Taten immer mehr in der Bosheit und der Ausweglosigkeit seines selbst-gewählten Daseins verliert. Die Menschlichkeit geht im nun gänzlich ab, er erscheint nunmehr als magische und rabenschwarze Figur.

Das fünfköpfige Ensemble, ihre liebevoll gestalteten Figuren und Masken und die Musikerin zeigen eine ungeahnte Spielfreude trotz routinierten Ablaufs des Stückes. Man merkt ihnen die längere Zusammenarbeit an, sie können sich auf den Spielpartner verlassen. Der Mix aus Figuren- und klassischem Theater zeigt eine Facettenhaftigkeit, die trotz des sparsamen und dem überwiegenden dunklen Bühnenbild Raum für Details lässt – sei es für ein Marionettenskelett, das durch seine Aufgekratztheit und seinen vor Ironie platzenden Text ungeahnte Heiterkeit in das Spiel hineinbringt oder durch die fein ausgearbeitete Maske des Müllers, dessen Fratze nicht allein durch Bösartigkeit sondern auch durch Gequältheit stark verzerrt ist. Die starke Metaphorik in den Texten und die eingeflochtenen Traumsequenzen lassen Raum für die Interpretationen des Zuschauers, denn kaum einer aus dem Publikum kennt diese Geschichte wohl nicht. Zuletzt ist die reduzierte Inszenierung auf die wesentlichen Handlungsabläufe – Einführung der Figur Krabat, sein Weg zur Mühle, der Initiationsritus sowie die Hintergründe zum Müller und die zarte Liebesgeschichte mit tragisch-fröhlichen Ausgang – eine wohltuende Abwechslung zum immer bombastischeren, jede einzelne Szene ausspielenden Theater, das derzeit kaum noch jemandem hinter dem Ofen hervorlockt.

Das Publikum dankt es mit langem Applaus. Mit einem Glühwein im angeschlossenen kleinen Lokal, wo im übrigen auch der neue Ofen zu bewundern ist, der dem Westflügel nun ordentlich einheizt, neigt sich der Abend dem Ende entgegen.

Krabat

Figurentheater Wilde & Vogel, Florian Feisel und Grupa Coincidentia

Regie und Textfassung: Christiane Zanger

Mit: Pawel Chomczyk, Florian Feisel, Dagmara Sowa, Michael Vogel

Live-Musik: Charlotte Wilde

Lindenfels Westflügel; Aufführung vom 28. November 2014


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.