Dichterin in der zehnten Dekade

Die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker ist mittlerweile 90 Jahre alt und immer noch sehr produktiv. Auch ihr neuestes Buch „Cahier“ ist wieder hinreißend

Friederike Mayröcker ist einzigartig. Keine andere Autorin schreibt so wie sie und keine andere Autorin arbeitet wie sie an ihren Texten. Waschkörbe voller Zettel bevölkern die Wiener Wohnung Mayröckers. Jedes ihrer Bücher wurde auf der gleichen Schreibmaschine verfasst, und seitdem das „ß“ kaputt gegangen ist, wird einfach immer „sz“ geschrieben, wenn ein Eszet benötigt wird. So pragmatisch wie Mayröckers Handhabe von technischen Schwierigkeiten sind ihre Texte aber bei Weitem nicht.

Wenn man abseits ihrer Arbeitsweise das Werk Friederike Mayröckers beschreiben will, kommt man ins Schlingern. Was macht ihre Texte so besonders? Wieso tut man sich diese schwere Kost immer wieder an, insbesondere in anbetracht der Tatsache, dass man vieles aus den assoziativen Sprachgemälden nie wirklich verstehen wird, auch wenn etymologisch alles klar zu sein scheint?

Es muss wohl an der ganz besonderen Stimmung liegen, die von Mayröckers Texten seit jeher ausgeht. Die Sprache ist fließend und zugleich rhythmisch, was ihrem Werk eine große Musikalität verleiht. Es ist aber auch das Abenteuerliche in der Prosa, das immer wieder zu dieser Autorin zurückführt. Wo sonst trifft man im Abstand von nur zwei Buchseiten auf Jacques Derrida, Antony Hegarty und eine Welt, in der es vor Blumen und Vögeln nur so wimmelt? Das gibt es nur bei Friederike Mayröcker, die seit fast sechzig Jahren immer wieder darauf hinweist, dass die Schönheit der Welt unter anderem darin liegt, dass so vieles nebeneinander existiert, was man kaum zu fassen vermag. Auch in ihrem neuesten Buch Cahier ist das nicht anders. Wer sich diesen 192 Seiten voller feinstfühliger Sinneseindrücke hingibt, dem wird danach aufs angenehmste der Kopf schwirren. Kaum zu glauben, dass der hellwache Verstand einer Neunzigjährigen so etwas mit einem veranstalten kann.

Friederike Mayröcker: Cahier

Suhrkamp

Berlin 2014

192 S. – 19,90 €


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