Von der Gentrifizierung Galliens

Mit „Asterix − Im Land der Götter“ gelingt Louis Clichy ein kluger Kommentar zu gegenwärtigen urbanen Prozessen, ohne dabei die kleinen Zuschauer aus den Augen zu verlieren

Julius Cäsar hat sich diesmal eine besondere List ausgedacht, um die verhassten Gallier zu besiegen. (Fotos: Pathé Films AG)

„Wir befinden uns im Jahre 50 vor Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt … Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten …“ — Wer kennt sie nicht, diese berühmten Worte, mit denen jeder der Comic-Bände von Asterix beginnt? Nach langer Zeit und einer ganzen Reihe von Realverfilmungen, in denen sich teils die Granden des französischen Kinos die Klinke in die Hand gaben um diesem französischen Kulturerbe ihre Ehre zu erweisen, ist es nun endlich wieder an der Zeit, dass ein Animationsfilm die Geschichte der unbeugsamen Gallier auf die Leinwand bringt.

Nicht nur die Tatsache, dass es sich bei Asterix — Im Land der Götter um den ersten animierten Kinofilm seit langer Zeit handelt, der von Asterix und seinen Gefährten handelt, und der wieder vollständig im Computer animiert worden ist (die vergangenen animierten Filme, so ist älteren Semestern vielleicht noch bekannt, waren bis auf eine qualitativ unrühmliche Ausnahme handgezeichnet), sondern auch die Form, in der Regisseur Louis Clichy sich in seinem Erstlingswerk die Geschichte des zugrunde liegenden Comics „Die Trabantenstadt“ zu Nutze macht um aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu beleuchten, unterstreicht den Sachverhalt, dass die klassische Figur des Asterix mit diesem Film in die Gegenwart getragen werden soll. Dieser Versuch, so viel sei an dieser Stelle vielleicht schon verraten, kann durchaus als ein voller Erfolg gewertet werden.

Wie immer versucht auch diesmal der römische Imperator Julius Cäsar, den Widerstand des letzten noch nicht eroberten gallischen Dorfes zu brechen und es ins römische Reich einzuverleiben. Natürlich gestaltet sich dieser Sachverhalt auch in diesem Falle wieder recht schwierig, denn wie den meisten Lesern bekannt sein wird, besitzen die Bewohner eben dieses Dorfes einen Zaubertrank, der ihnen übermenschliche Kräfte gibt und durch den sie in Folge der römischen Militärübermacht die Stirn bieten können.

In Folge entsinnt sich der römische Imperator einer neuen Taktik, und durch quasi gezielte und hochqualitative „Siedlungspolitik“ in der Nachbarschaft des gallischen Dorfes sollen die Gallier dazu gebracht werden, durch die Vorzüge eben dieser neuen Siedlung ihrer eigenen Überzeugungen abtrünnig zu werden und sich dem römischen Reich von selbst anzuschließen. Natürlich gestaltet sich dieser Gedanke nicht ganz so einfach wie geplant, und schon die Umsetzung der Baupläne im umliegenden Wald des gallischen Dorfes scheitert anfangs am Unmut der beiden Hauptprotagonisten Asterix und Obelix. Denn für jeden Baum, der im Schutze der Dunkelheit von römischen Sklaven ausgerissen wird, wird rasch mit magischer Hilfe des Dorfdruiden Miraculix am folgenden Tag ein neuer Baum in voller Größe gepflanzt. Nach einer gewissen Zeit dieses Katz- und Mausspiels kommt Asterix der Gedanke, die römischen Sklaven mit dem Geschenk von ein wenig Zaubertrank in die Lage zu versetzen, sich selbst von den Römern zu befreien. Als dieser Plan sich jedoch in sein Gegenteil verkehrt, da die Sklaven ihre neu erlangten Fähigkeiten dazu nutzen, den Römern ihre Dienste zur Umsetzung der Siedlungspläne anzubieten um im Gegenzug dort als freie Bürger des römischen Reiches leben zu dürfen, ist der erste Schritt von Cäsars Plan vollbracht.

So sieht Städteplanung im sich gentrifizierenden Gallien aus.

Zwar wollen die Gallier in Folge mit Hilfe ihres magischen Zaubertranks die neu entstandene Siedlung dem Erdboden gleichmachen, aber genau in diesem Moment beziehen die ersten römischen Familien die neue Siedlung und wenden hierdurch die übliche gallische Herangehensweise in Form einer Keilerei zwischen Dorfbewohnern und Legionären ab. In Folge beginnt ein unheilvoller Prozess, der die Werte der Gallier tatsächlich mehr in Frage stellen wird, als sie sich selber im Vorfeld ausgemalt hätten. Und eines scheint klar: Gegen diese Gefahr wird wohl tatsächlich auch nicht der übermächtige Zaubertrank allein helfen können, sondern nur die Fähigkeit der Dorfbewohner, zusammenzustehen.

Regisseur Louis Clichy übersetzt mit seinem ersten eigenen Film Asterix — Im Land der Götter gleich mehrere Momente der berühmten Asterix-Comics gekonnt in die Gegenwart. Zum einen wagt er den letztlich seit Jahren überfälligen Schritt, die Comics wieder in die zeitgenössische Form der Computeranimation zu übersetzen. Dieser Schritt gelingt ihm im gegebenen Werk im Gegensatz zum einzigen früheren Versuch in dieser Hinsicht (Asterix und die Wikinger, 2006) durch und durch. Leser der Comic-Bände (und all jene, die sie vor einer halben Ewigkeit gelesen haben) finden sich vom ersten Moment an in einer ihnen bekannten Welt wieder. Die Animationen der Charaktere erfüllen den Film mit einer Lebendigkeit, die im Falle der Vorlage von Asterix-Heften wohl keine Realverfilmung letztlich je vergleichbar umsetzen könnte. Die gelungene Animationsarbeit versprüht auch in den kleinsten Szenen vollkommen selbstverständlich jene Slapstick-Überdrehtheit, die den Comics so eigen ist, und die im Falle der vergangenen Asterix-Realverfilmungen wohl letztlich notwendig oftmals recht trocken und gezwungen wirken muss. Es ist hier auch sicherlich Clichys vorgehender Arbeit als Animator bei den Pixar-Meisterwerken Wall-E und Oben zu verdanken, dass er den erfahrenen Blick auf die erfolgreiche Wirkung einer Animation hat und in Folge auch als Regisseur bei seinem Erstlingswerk den Charakteren des Asterix-Universums den richtigen Touch gegeben hat.

Doch nicht nur auf dieser Ebene gelingt Clichy die Übersetzung der Comic-Vorlage „Die Trabantenstadt“ in die Gegenwart. So wie die Comics von Uderzo und Coscinny oftmals aktuelle gesellschaftliche Themen aufgenommen und in die Welt von Asterix übersetzt haben, so gelingt Clichy diese Leistung in seinem Erstlingswerk ebenfalls auf hervorragende Weise.

Dabei ist es schön zu sehen, dass er die ursprüngliche inhaltliche Vorlage der Trabantenstadt, die in den 70er Jahren als ein real existierendes soziales Phänomen der französischen Großstädte aufkam, behutsam aufnimmt und in ein zeitgenössisches urbanes Phänomen übersetzt. Die Gefahr, die den Galliern nämlich aus dem sogenannten Land der Götter entgegenschlägt, ist schnell als eine Art der Gentrifizierung identifizierbar, welche schon seit einigen Jahren in vielen Städten der westlichen Welt eine Transformation des sozialen Gefüges zur Folge hat. Natürlich wird die Thematik nicht eins zu eins übersetzt, in der Realität gibt es z.B. schließlich keine übermächtige Einzelperson, die die sogenannte Aufwertung von Stadtbezirken vorantreibt und in Folge all jene „familienorientierten“ und „generationenübergreifenden“ Bauprojekte in Auftrag gibt, die mit ihren Folgewirkungen die alteingesessene Bevölkerung oftmals vor Probleme bis hin zur Verdrängung zwingt. Und natürlich finden diese Phänomene auch nicht in der tiefsten Provinz, sondern zumeist in urbanen Ballungszentren statt.

„Im Land der Götter“ ist der zweite und gelungenere Versuch, Asterix und Obelix als vollständig computeranimierte Figuren zu zeigen.

Aber dennoch werden deutlich einzelne Wirkungen und Mechaniken der Gentrifizierung aufgezeigt, die Clichy aus der Jetzt-Zeit aufgreift, und die in dieser Form nicht in der Comic-Vorlage aus den 70er Jahren zu finden sind. So zum Beispiel der so einfache wie eindeutige Sachverhalt, dass im Gegensatz zur Comic-Vorgabe nun zugezogene römische Familien (mit kleinen Kindern, die fröhlich vor den neuen Bauten tollen) die Gallier davon abhalten, die gerade entstandene römische Siedlung mit dem klassischen Prozedere einer zünftigen Schlägerei gleich wieder dem Erdboden gleich zu machen. Und wenn in weiterer Folge die neu Zugezogenen das gallische Dorf besuchen, und Firlefanz zu vollkommen überhöhten Preisen erwerben, so fühlt man sich nicht nur oberflächlich an einen Spaziergang über einen Berliner Flohmarkt am einem gewöhnlichen Sonntag erinnert. Dass in weiterer Folge auch die Lebensmittelpreise in astronomische Höhen schnellen, da die zugezogenen Römer einen erheblichen eigenen Reichtum mitbringen (denn die geplanten römischen Siedlungen sind wie eingangs erwähnt hochwertig und für eine wohlhabende Klientel ausgelegt), wird auch jedem, der sich nur rudimentär mit den Mechanismen der Gentrifizierung auskennt, bekannt vorkommen.

Weder der Barde Troubadix, der als Versuch einer Gegenstrategie in die Siedlung infiltriert wird und mit seinen fragwürdigen musikalischen Fähigkeiten die neuen Bewohner vertreiben soll, noch der Druide Miraculix, der es permanent auf die Siedlung regnen lässt, können die Zugezogenen vergraulen, vielmehr romantisieren selbige in Folge sogar jedwede noch so negative Gegebenheit. Dies kann man nun grundsätzlich für eine einfache Form von Slapstick halten, aber weitergehend ist auch dies ist sicherlich ein Phänomen, das sich oftmals in Phasen der Gentrifizierung wiederfindet, wenn zum Beispiel zumeist die vermeintlich „authentischen“ weil sozial schwachen städtischen Bezirken begehrt sind, in denen jede soziale Schieflage als Beweis für etwas gesehen wird, was es in Wirklichkeit nicht ist.

Natürlich läuft Gentrifizierung in der Realität anders ab. Denn natürlich werden in dieser Realität die durch diesen Prozess Vertriebenen nicht in die hochpreisigen neuen Siedlungen aufgenommen. Aber im gegebenen Film ist ja auch nicht die Wertschöpfung aus solchen Prozessen vorrangig, sondern der Zweck, den gallischen Widerstand durch indirekte Prozesse zu brechen. Und so sagt Cäsar nicht umsonst schon recht unverblümt zu Beginn des Films, dass diejenigen, die den Klauen des Löwen entkommen, nun durch das Gift der Schlange niedergestreckt werden sollen.

Auch neben diesen gekonnten Anspielungen auf das Phänomen der Gentrifizierung ist der Film an vielerlei Stellen tiefgründiger, als man es für einen eindeutigen Kinderfilm erwarten würde. Es seien hier allein die beinahe schon philosophischen Ausführungen genannt, mit denen der Anführer der Sklaven in einer Szene Asterix erläutert, warum der geschenkte Zaubertrank nicht in die Freiheit, sondern eine vermeintlich andere Form der Sklaverei führte, wenn man ihn für die vollständige Befreiung von den Römern einsetze (dies ist durchaus als klare Referenz zum Philosophen Thomas Hobbes zu verstehen, der mit seiner Formulierung, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei die Vorteile eines geregelten Staatswesens aufzeigen wollte). Dass aber auch die marktwirtschaftliche Abhängigkeit, in die die Sklaven nach Erfüllung ihrer Dienste und ihrer vermeintlich damit verbundenen Freisprechung vom Sklaven-Status rutschen, eine Form von Sklaverei ist, das ist eine bissige Ironie, die vielleicht nicht bei jedem kleinen Zuschauer, sicher aber den großen ein verschmitztes Schmunzeln hervorrufen wird.

Schlussendlich ist der Animations-Film Asterix — Im Land der Götter bei weitem nicht das Kinderkino, dass man wohl in einem ersten Schritt erwarten würde. Vielmehr werden sowohl die kleinen als auch die großen Zuschauer umfangreich in jeglicher Hinsicht bedient. Während die Animationen den Kleinen sicherlich auch ohne jegliche Vorkenntnis der Comicvorlage eine große Freude bereiten werden, werden die großen Zuschauer sich durch die gelungene Umsetzung wohlig an ihre eigene Asterix-Vergangenheit erinnert fühlen.

Daneben hat es Regisseur Clichy auch geschafft, der inhaltlichen Relevanz, die den Asterix-Comics von Uderzo und Coscinny innewohnte, neues Leben einzuhauchen. Und so wird man nicht nur vorzüglich mit wunderbaren Animationen und unmittelbarem Humor unterhalten, sondern es wird einem nebenbei auch noch aufgezeigt, wie bestimmte gesellschaftliche Prozesse ihren Lauf nehmen. Und so kann man diesem Film nur wünschen, dass er aufgrund seiner Comic-Referentialität nicht in der Rolle Kinderkino verhaftet bleibt, sondern eine Aufmerksamkeit erlangt, die in Frankreich hinsichtlich der dort vorherrschenden Comictradition schon lange gilt: uneingeschränkt für alle Altersgruppen geeignet und empfohlen.

Asterix – Im Land der Götter

Frankreich/Belgien 2014, 86 Minuten

Regie: Louis Clichy

Kinostart: 26. Februar 2015


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.