Kälte aus dem Bühnenraum und glutheiße Musik aus dem Orchestergraben

Alban Bergs Oper Lulu in einer sterilen Versuchsanordnung in der Staatsoper im Berliner Schillertheater

„Lulu“-Premiere am 31. März 2012 (Fotos: Bernd Uhlig)

Wer die Lulu an der Staatsoper verstehen will, muss vorher einiges wissen. In der an der Staatsoper Unter den Linden aufgeführten Inszenierung von Andrea Breth fehlt einiges: der Prolog (viereinhalb Minuten), der Dialog Lulu/Maler aus Szene zwei des ersten Akts (drei Minuten), außerdem die erste Szene des dritten Akts (neuneinhalb Minuten) sowie Sprechpassagen und andere Kleinigkeiten. Aber es ist auch was dazu gekommen: zwei Todesschreie vom Tonband und etliche zusätzliche Instrumente für die von Richard Coleman auf Breths Wunsch hin neu bearbeitete zweite Szene des dritten Akts, darunter ein Harmonium, ein Marimbaphon, Steeldrums, Kuhglocken und ein Akkordeon. Colemans Neufassung des Finales ergänzt das hinterlassene Berg-Particell also mit Instrumenten aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik, geleitet vom Wedekindschen Drehorgelzitat, das ausgiebig zitiert wird. Hinzu kommt anstatt des Prologs ein Zitat über das Erinnern und Vergessen von Søren Kierkegaard.

Wenn man das alles nicht weiß und ganz unvorbereitet im Schillertheater sitzt, sieht man sich erst einmal einer maroden Lager- oder Industriehalle gegenüber, auf der linken Bühnenhälfte ist ein Turm aus Autowracks in die Höhe geschichtet, auf der rechten Seite entwickelt sich eine Metallstruktur in den Raum, die in ihrer Abstraktheit an Bilder von Mondrian erinnert. Weit hochgezogene Wände mit monumentalen Architekturen bemalt machen aus der Bühne eine geschlossene Anstalt, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Figuren bewegen sich in dieser kalten künstlichen Umgebung völlig abgelöst vom Inhalt ihrer Dialoge. Wie Marionetten in Zwangshandlungen gefangen, treten sie zwei Schritt vor, dann einen zurück, sie treten auf der Stelle, sie sprechen und singen oft ins Leere – eine Herausforderung für den Zuhörer. Manchmal geht verloren, wessen Stimme gerade zu hören ist.

Andrea Breth hat eine sterile Versuchsanordnung geschaffen. Alle Männer Lulus sind von Anfang an dabei, vieles passiert gleichzeitig. Doppelgängerinnen von Lulu sterben und tauchen wieder auf. Die Figuren überhöhen ihre Posen bis zur Lächerlichkeit: Der Athlet boxt vor sich hin, Dr. Schön rennt auf und ab, ein Reporter gleitet auf Rollschuhen filmend über die Bühne. In den Autowracks ein permanentes Krabbeln und posieren, tote Lulu-Doubles werden mit der Schubkarre auf diesen Autofriedhof geworfen.

Bei dem ganzen Rumrennen bleiben die Gefühle auf der Strecke, kein Anflug von Empathie oder Mitleid kommt auf. Streckenweise hilft es, einfach die Augen zu schließen und nur die Musik zu genießen. Berg hat die Emotionen in der Partitur angelegt und Daniel Barenboim und die Staatskapelle bringen das auch eins zu eins auf die Bühne: strahlende Holzbläsern erzählen von der Charakteren ebenso der satte glitzernde Streicherklang. An der Spitze des Sänger-Ensemble der Produktion steht die schlackenlose Stimme von Mojca Erdmanns als Lulu. Stephan Rügamer als Maler und Thomas Piffka als Alwa halten kräftig dagegen. Michael Volle gestaltet den Dr. Schön kraftvoll, und Georg Nigl kann dem Athleten viele Facetten entlocken.

Was von dieser Inszenierung am Ende bleibt, ist ein eigenartiger Widerspruch zwischen der Kälte aus dem Bühnenraum und der glutheißen Musik aus dem Orchestergraben.

Lulu

Oper von Alban Berg

Staatsoper im Schillertheater, Berlin, 22. Februar 2015


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.