Italienische Komödie trifft auf ungarisches Psychodrama

Calixto Bieito schweißt zwei an der Komischen Oper Berlin zwei unterschiedliche Stücke zusammen: „Gianni Schicchi“ und „Herzog Blaubarts Burg“

„Gianni Schicchi“ (Fotos: Monika Rittershaus)

Barrie Kosky der Intendant der Berliner Komischen Oper Berlin ist ein großer Freund von neuen und außergewöhnlichen Ansätzen. Die Idee seines Generalmusikdirektors Henrik Nánási, Puccinis Einakter Gianni Schicchi und Bartoks Einakter Herzog Blaubarts Burg an einem Abend zu kombinieren, ist so ein außergewöhnlicher Ansatz. Ganz neu ist er allerdings nicht, da Henrik Nánási diese Kombination schon einmal in seinem Heimatland Ungarn realisiert hat.

Doch was haben die Einakter miteinander zu tun? Gibt es musikalische Zusammenhänge? Was macht der für seine holzschnittartigen und farbigen Inszenierungen bekannte spanische Regisseur Calixto Bieito, der bereits zum siebten Mal an der Komischen Oper inszeniert, mit diesen beiden Stoffen?

Beide Musiktheaterwerke sind 1918 uraufgeführt worden, zeitlich am Vorabend zum Untergang einer ganzen Epoche. Der erste Weltkrieg hatte gerade 17 Millionen Tote gefordert. Puccini soll einer Freundin gegenüber den Wunsch geäußert haben, dass er gern mal was bringen würde, was die Menschen zum Lachen bringt. Gianni Schicchi basiert auf einer Episode aus der Commedia (1321) von Dante Alighieri, eines der zentralen Werke der italienischen Literatur. Am Totenbett des verstorbenen Familienpatriarchen Buoso Bonati wird das Testament verlesen. Die bucklige Verwandtschaft erfährt dabei, dass Bonati sein gesamtes Erbe der Kirche vermacht hat. Die Bestürzung ist natürlich groß, vor allem bei Rinuccio, welcher sich durch das Erbe die Mitgift für die Heirat mit Lauretta versprochen hat.

Man muss wissen, dass die Verbindung mit Lauretta gegen die Standesdünkel der Bonatis verstößt, weil Gianni Schicchi, der Vater von Lauretta, aus ganz einfachen Verhältnissen kommt. Standesdünkel hin oder her, als die Verwandtschaft eine Chance sieht, mithilfe von Schicchi doch noch an die Millionen zu kommen, machen sie mit ihm gemeinsame Sache. Schicchi legt sich an Stelle von Buoso Bonati ins Totenbett und diktiert dem hinzugerufenen Notar, wohlweislich verschweigend, dass Bonati bereits tot ist, ein neues Testament. Zur Bestürzung der Verwandtschaft aber tut er das nun in seinem ganz eigenem Sinne, das heißt, er setzt sich als Erben ein und jagt die Verwandtschaft dann kurzerhand aus dem gerade gerbten ehemaligen Sitz der Bonatis.

„Herzog Blaubarts Burg“

Der Plot von Herzog Blaubarts Burg entstammt einer Fabel aus dem 17. Jahrhundert von Charles Perrault. Eine junge Frau ist einem Mann verfallen oder wird vom ihm verführt (man weiß das nicht so genau). Am Ende wird die Frau in eine geheimnisvolle Burg gelockt. Die Geheimnisse in der Burg sind gefährlich, nicht zu ertragen. Die Frau möchte aber alle Geheimnisse entdecken und öffnet, die Bedenken Blaubarts ignorierend, die Folterkammer, die Waffenkammer, die Schatzkammer, den Zaubergarten, eine als weites Feld bezeichnete Kammer, entdeckt den Tränensee und dringt letztendlich in die Kammer mit den toten früheren geliebten Frauen von Blaubart ein.

Am Ende erträgt sie das ganze Wissen nicht und stirbt. Die Figur des Blaubarts schwirrt seit Perraults Novelle intensiv durch die Literatur-, Musik- und Filmgeschichte, zu faszinierend ist die Geschichte vom bösen und hässlichen Blaubart und einer jungen Schönen. Im Libretto von Bela Balázs wird die Geschichte zwischen Herzog Blaubart und Judith zu einer Beziehungstragödie. Der Plot spielt sich eigentlich nur in den Köpfen der beiden Darsteller ab. Die ursprünglichen Kammern bilden die Erinnerungen und das Gewissen von Blaubart ab, Judith dringt in alles ein und geht am Ende wie in der Novelle aus dem 17. Jahrhundert unter und stirbt.

Italienische Komödie auf der einen, ungarisches Psychodrama auf der anderen Seite – was hält die Stücke nun zusammen? In beiden Stücken haben wir Männer, die ihre Umwelt beherrschen. Es geht um die fragilen Systeme, welche Männer aufbauen, um ihre Mitmenschen zu dominieren. Bonati hat sich uneingeschränkten Zugriff auf das Familienvermögen gesichert und kann so in seinem Testament, die ihm verhasste Verwandtschaft von allem Reichtum ausschließen. Blaubart versteckt seine Abgründe und Erinnerungen, um sich in den täglichen Machtspielen keine Blöße geben zu müssen.

Regisseur Calixto Bieito arbeitet in der Inszenierung bewusst mit den gegensätzlichen Stimmungen der beiden Stücke. Gianni Schicci ist als rabenschwarze Komödie inszeniert. Mit einem Herzfrequenzmonitor startet das Stück, pie…p, pie…..p, pie…….p, nachdem die Herzfrequenz ausbleibt und Bonati tot ist startet ein farbenfrohes Treiben. Die Verwandtschaft in schrillen Kostümen rennt um den toten Bonati herum, voller Gesang, konzentriertes Schauspiel und hinreißende Pantomime wechseln sich ab. Nach der Eröffnung des Testamentes herrscht Panik. Rinuccio schmiert sich vor Schreck die Reste des letzten Stuhlgangs von Bonati aus der Bettschale ins Gesicht. Das Erscheinen von Schicchi erhöht das Tempo. Die gegenseitige Verachtung zwischen der feinen Gesellschaft der Bonatis und dem Underdog Schicchi wird genüsslich inszeniert. Soweit so vorhersehbar, es leben die Vorurteile.

Die Arie von Lauretta markiert einen inhaltlichen Wendepunkt. Lauretta überzeugt mit ihrem schmachtenden O mio babbino caro ihren Vater einzugreifen und das Erbe vor dem Verschwinden im Kirchenvermögen (Manna für die Mönche) zu retten. Musikalisch bricht die Arie aus der filigranen und sparsamen Partitur aus. Am Wendepunkt des Stückes entwickelt sich ein üppiger Puccini Sound. Kim-Lillian Strebel als Lauretta in einem pinken Mädchenkostüm wickelt ihren Vater mit ihrem schmachtenden Gesang um den Finger. Schicchi liegt alsbald im Sarg und erschleicht sich das Erbe von Bonati.

Im zweiten Teil des Abends beginnen sich die Kulissen aufzulösen. Das bürgerliche Wohnzimmer wird in Fragmente zerlegt, Streif- und Gegenlicht schaffen die psychologisch aufgeladene Stimmung für Blaubarts Burg. Ausrine Stundyte als Judith und Gidon Saks als Blaubart beginnen ihren Kampf. Judith rast und wütet, wenn Blaubart sich gegen die Entdeckung seiner Geheimnisse sperrt. An der fünften Tür beginnt Judith gewalttätig zu werden, orgiastisch tobend macht sie sich über Blaubart her: „Ich will nicht, dass du vor mir Türen geschlossen hältst“. Bartok hat für jede der sieben Türen andere Orchesterfarben verwendet, satte Blechfanfaren begleiten das Öffnen der fünften Tür. Am Höhepunkt des Stückes schimmert die Musik in hellen Farben, kurzzeitig blitzt die Hoffnung auf, dass sich alles zum Guten wendet, doch dann versinkt die Partitur wieder in tiefer Dunkelheit und der Plot steuert auf den Untergang zu. Ausrine Stundyte und Gidon Saks singen und spielen mit aller Energie, sie gehen in den Rollen auf, scheinbar ihre Umwelt vergessend.

Als Zuschauer hat man für zwei Stunden seine Umwelt auch komplett vergessen. Calixto Bieito hat es geschafft diese beiden unterschiedlichen Stücke zusammenzuschweißen. Herzog Blaubart hinterlässt dabei die tiefsten Erinnerungen. Das zur Zeit seiner Entstehung als uninszenierbar geltende Stück entwickelt eine faszinierende Aktualität. Von solchen Musiktheaterabenden wünscht man sich mehr!

Gianni Schicchi | Herzog Blaubarts Burg

Zwei Einakter (1918) von Giacomo Puccini | Béla Bartók

Gianni Schicchi: Libretto von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus La Divina Commedia von Dante Alighieri

Herzog Blaubarts Burg: Dichtung von Béla Balázs

Komische Oper Berlin, Großer Saal, 1. März 2015


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.