Lies und kauf

Mit Hashags, Kaugummis und Dingern namens Bücher: Ein Rundgang über die Leipziger Buchmesse

Artwork: Maria John, Leipzig / www.mariajohn.de

Die Buchmesse ist vorbei – ein rauschendes Fest von fulminanten Figuren, feisten Freigeistern, verkaufsfreudigen Fratzen und Vorzeige-Selfie-Visagen. Was gab es in diesem viertätigen Messe-Marathon nicht alles wieder zu sehen. Verwunschene Zauberfeen, Manga-vernarrte Drachenlords, herumzeternde, die Unachtsamen plattwalzende Schulklassen, übermüdete Kaffee-Verkäufer, Blaues-Sofa-Gäste mit Hang zur Larmoyanz und Selbstgefälligkeit und natürlich jede Menge (Pseudo-)Verlage, die sich in kleineren und mal in größeren Boxen, je nach Budget und Bekanntheit, tummelten. Bücher gab es natürlich auch, das sei aber nur am Rande erwähnt, denn eigentlich geht es gar nicht um diese albernen Schinken mit Wörtern drin.

Ich, ich, ich, guck und like mal!

Die Buchmesse ist ,wie fast alles in der „digitalen Revolution“, zu einem Schaulauf der Massen geworden. Schon lange sind nicht mehr die Autoren diejenigen, die auf dem Roten Teppich wandeln und die Menge teilen wie einst der Messias das Wasser. Die Besucher sind selbstreferentiell geworden, erpicht darauf, den eigenen Besuch Social-Media-wirksam zu inszenieren. Dabei mache ich natürlich fröhlich mit: Werbung, hier guck und like mal!

Die Buchmesse selbst wurde dank Facebook und Twitter ein lebendiges Perpetuum Mobile, ein quakendes Ungetüm, das jede Veranstaltung, jede Lesung, jedes Interview in den Web-Äther pumpt. @buchmesse heißt der niedliche Channel, der im gefühlten und im tatsächlichen Drei-Minuten-Takt Hashtags und semi-lustige Comic-Cliparts blubbert. Ein illustres, wenn auch nicht illustriertes Beispiel:

„Dance the Völkerverständigung! Lesung, Party, Porno – mehr in unserem #lbm15-Blog: http://blogs.deutschlandradiokultur.de/buchmesselbm15/2015/03/13/dance-the-voelkerverstaendigung/ …“

Fairerweise muss man dazu sagen, dass es sich um einen Retweet des Deutschlandradios im Ressort Kultur handelt. Ob man das jetzt peinlich, prätentiös oder pornös findet, muss jeder selbst entscheiden.

Wenn die Buchmesse wütet, brechen mit Sicherheit ganze Serverfarmen zusammen – ich am Stand für Self-Publishing, ich am Bratwurststand, ich mit wackeligem Stand auf der Toilette. Gepostet wird alles, was nicht bei Drei in der Vergangenheit ist. Da muss ich durch, ob ich will oder nicht. Ich sehe die Instagram-optimierten Schnappschüsse von breiten Steintreppen, auf denen Susi ein Selfie macht, von Tunnelschläuchen aus Glas, in denen Susi wieder ein Selfie macht und von dicht gedrängten, vollbesetzten Imbisstischen, an denen Susi – ein Bild von ihrer Currywurst mit Pommes macht. Alles kommt in den Äther, gezuckert mit Hashtags, wie sie Jan Böhmermann nicht besser formulieren könnte.

Da, gleich beginnt sie, die Preisverleihung! Wie hießen nochmal die Autoren? Und was haben die überhaupt geschrieben? Ach, egal, ich sehe es eh gleich im ARTE-Channel und bestimmt wird mir der Autor mehrfach sagen, wie, was und warum er sein Werk so glorreich in Szene gesetzt hat. „Es ist kein Geheimnis, dass ich eigene Emotionen und Eindrücke in meine Bücher einfließen lasse“, sagt einer von der schreibenden Zunft mit verschränkten Beinen und ausladenden Handbewegungen. Ich staune, wer hätte gedacht, dass Schriftsteller auf Erlebnisse zurückgreifen?

Noch so ein Presseheini

Und ich bin mittendrin, Ausweis gut sichtbar um den Hals gehängt. Schließlich soll mich niemand für irgendso einen langweiligen Leser halten. Ich kämpfe mich durch den sehr, sehr, sehr wichtigen Presseclub (da darf nicht jeder rein, wichtig!), stoße aus dem Paradies der Journaille auf die am Smartphone klebenden, im Schneidersitz auf dem Boden hockenden Cosplayer, weiche im letzten Moment dem mir eilig entgegenstürmenden Servicemitarbeiter aus, der mit angestrengtem Blick etwas in sein Headset-Mikrofon brummelt, kriege einen Anfall, weil ein Paar vor mir so langsam schlendert, als würde es Goethes Osterspaziergang in Slow Motion nachspielen wollen und gelange nach vielen Stunden der auf mich eindreschenden Impulse zu meinem eigentlichen Ziel, endlich, ich kann es gar nicht glauben, dass ich ihn persönlich treffe, so lange habe ich darauf gewartet – da ist er, er leuchtet, hell und freundlich, so kennt man ihn.

Ich komme ihm Stück für Stück näher, doch da, eine Schulklassenlawine schneidet meinen Weg, entschuldigt sich halbherzig, dass sie mich beinahe umgenietet haben, ich umkreise eine gebückt laufende alte Frau, springe vorbei an den mit Geschenktüten beladenen, Kaugummi-katschenden, Duckface-schnutenden It-Girls (die im heutigen Zeitalter zugleich IT-Girls sein könnten), deren letztes Buch vermutlich die Bravo war, und erreiche ihn – den Ausgang! Vielen Dank, liebe Buchmesse, für diese wunderbaren Stunden, in denen ich nach Zeitschriftenabos gefragt, von Werbeplakaten überschüttet, mit geistigem und essbarem Senf vollgekleckert und mit stickiger Wärme ummantelt wurde.

Doch alle schönen Dinge müssen einmal enden, hat Michael Ende gesagt (der war Autor und hat diese Dinger namens Bücher geschrieben). Und so mache ich es wie die anderen twitternden Vöglein und besinge den Frühling. Vielleicht, liebe @buchmesse, retweetest du ja diesen Text. Du findest ihn unter dem Hashtag #KommerzaufderBuchmesse. Und vielleicht hast du auch den ein oder anderen tatsächlichen Literaturfreund getroffen, der einfach nur gute Bücher liebt und weder Selfies, noch Kostüme, noch Presseräume braucht, um diese Liebe zu zeigen. Es wäre dir zu wünschen.

Leipziger Buchmesse

12.-15. März 2015


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