François Ozons neuestes Werk „Eine neue Freundin“ hätte eine interessante Charakterstudie einer Transfrau werden können
Laura und Claire sind beste Freundinnen. Doch Laura stirbt an einer tragischen Krankheit. David, ihr verwitweter Mann, entdeckt daraufhin seine weibliche Seite. In etwa so knapp und hölzern beginnt der aktuellste Streifen des französischen Regisseurs François Ozon. Die Kindheit von Laura und Claire, ihre Jugend, die Hochzeiten der beiden und die Geburt von Lauras Tochter werden im Schnelldurchlauf abgehandelt. Kann diese Technik in der Mitte oder am Ende eines Films, wenn die ZuschauerInnen schon eine Beziehung zu den Charakteren aufgebaut haben, durchaus eine bezaubernde Wirkung entfalten, so wirkt sie hier gleich zu Beginn etwas fehl am Platz.
Schließlich aber die eigentliche Handlung: Auf Anraten ihres Mannes schaut Claire bei Lauras Witwer David vorbei; will nach dem Rechten sehen. Beim Betreten des Hauses ertappt sie ihn als Frau gekleidet. Erschrocken macht Claire David zunächst Vorwürfe, wird dann aber schnell verstrickt in sein Geheimnis. Der Plot um eine sich verändernde Freundschaft bietet viel Potenzial für eine anregende Bearbeitung. Leider nimmt der Regisseur sich nicht die Zeit, genau hinzuschauen. Kaum eine Szene dauert länger als ein paar Augenblicke.
Während David sich immer mehr in eine Frau verwandelt und Claire immer unsicherer wird, wie sie sich in dieser Situation verhalten soll, warten die ZuschauerInnen vergeblich auf eine echte Entwicklung der Geschichte. Keine Figur wird beobachtet, kein Moment des Nachdenkens oder Fühlens von David oder Claire ausgehalten — der nächste Cut wartet schon, kaum ist ein Satz zu Ende gesprochen. Es wirkt ein bisschen so, als hätte der Regisseur ein Thema aufgegriffen, das ihm gerade à la mode zu sein schien. Eine wirkliche Beschäftigung mit den Grenzüberschreitungen zwischen den Geschlechtern lässt er jedoch vermissen: Wie fühlt sich David, der sich nach und nach in sein weibliches Pendant Virginia verwandelt? Welche Ängste lasten auf ihm? Womit konfrontiert ihn die Außenwelt? Außer einem erschrockenen Blick und dem ratlosen „Wir wissen auch nicht warum, bitte sagt es niemandem“ der Schwiegereltern hat François Ozon offenbar nichts dazu zu sagen. Während die Bilder perfekt sind und die HauptdarstellerInnen Romain Duris und Anaïs Demoustier in ihren Rollen glänzen, bleibt der Film gänzlich an der Oberfläche.
Eine neue Freundin hätte eine interessante Untersuchung der Erfahrungen von Transpersonen werden können. Leider hat sich Ozon für die Betrachtung seiner Figuren keine Zeit genommen. So bleibt abgesehen von ästhetischen Bildern und dem unfassbar praktischen Schminktipp „Rechtes Auge — rechte Hand, linkes Auge — linke Hand“ nicht viel hängen.
Eine neue Freundin
Frankreich 2014, 107 Minuten
Regie: François Ozon; Darsteller: Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphaël Personnaz
Kinostart: 26. März 2015
Die Kritik am Film teile ich prinzipiell, leider lässt aber auch die Haltung und Wortwahl der Rezensentin jegliches Wissen bzw. Sensibilität mit dem Thema Trans*gender vermissen. Sicher hat nicht „er“ sich nach und nach in Virginia „verwandelt“, Auch geht es nicht darum, dass ein verwitweter Mann seine „weibliche Seite“ entdeckt. Die konsequente Verwendung des männlichen pronomens im Text macht leider deutlich, dass der Autorin nicht einmal ansatzweise klar ist, dass sich Trans*personen nicht in irgendwa verwandeln und auch keine „weibliche Seite“ ausleben, sondern dass ihre Geschlechtsidentität weiblich war, ist und sein wird und dass der Transitionsprozess der Person dazu verhilft, diese Identität, die sich keineswegs wandelt, auch nach außen leben zu können und zu wollen. Eine Trans*frau ist beileibe kein Mann in Frauenkleidern. Dass der Film in dieser Hinsicht keinerlei Aufklärung leistet, ist bedauerlich, jedoch bitte ich dringend um Sensibilisierung innerhalb der Redaktion, wenn solche Themen bearbeitet werden.