Ich bin, was ich bin

Im „Käfig voller Narren“ kann man die Sinne berauschen und den Verstand verlieren – „La cage aux folles“ in der Musikalischen Komödie

Sänger Patrick Rohbeck (Fotos: Ida Zenna)

In der Musikalischen Komödie feiert an diesem Samstagabend eine Komödie Premiere, die es seit ihrer Uraufführung in den 1970er-Jahren von einem Theaterstück über ein Musical zu Molinaros Kultverfilmung und dem eher mauen amerikanischem Remake gebracht hat. Dennoch hat sie das Schelmische und Kultische ihrer Anfangszeit nie verloren: La cage aux folles – Ein Käfig voller Narren.

Im Mittelpunkt der Revue, inszeniert von Giorgio Madia, steht der gleichnamige Travestieclub von George. Dessen Lebensgefährte Albin ist zugleich der Star auf der Bühne des Etablissements und bietet mit Zaza eine Diva par excellence auf. Die Beiden sind schon lange ein Paar und haben zusammen Georges‘ Sohn Jean-Michel mit viel Zuneigung aufgezogen. Nun will dieser seine große Liebe Anne ehelichen. Dumm nur, dass Anne die Tochter des stramm konservativen Politikers Edouard Dindon ist, dessen politischen Absichten in den Bemühungen enden, nach seiner Wahl alle Travestieclubs schließen zu lassen. Jean-Michel versucht Dindons Familie nun ein respektables und vor allem konservatives Weltbild zu präsentieren, damit die Hochzeit nicht an der Kleinigkeit der Homosexualität von Jean-Michels Eltern scheitert. Das Vorhaben erweist sich als fast unüberwindbares Problem für George, Albin und Jean-Michel, denn das divenhafte Getue steht den Protagonisten ebenso im Wege wie ihre Sturheit. Die Fassade muss unweigerlich zusammenstürzen.

Den Zuschauer erwartet bei La cage aux folles eine rosarote Welt aus Boudoir und verruchtem Nachtclub. Sogleich lernt man die wichtigsten Protagonisten in ihren Bühnenrollen kennen: George (wunderbar charmant und zurückhaltend: Milko Milev) als Conferencier und Patron seines Nachtclubs einschließlich aller Angestellten. Sein Lebensgefährte Albin (Patrick Rohbeck) ist als Zaza der unbestrittene Star der Show und verfällt immer wieder gern seinen Allüren, hinter denen er seine Unsicherheit versteckt. Die Cagelles Chantal (Yan Leiva), Phädra (Luan Donato), Mercedes (Wanderson Wanderley) und Hannah (Roberto junior) lauern auf ihre Chance, in Zazas Fußstapfen stöckeln zu können, und verleihen ihrem Unmut über die fehlende Solobesetzung mit spitzen Zungen und noch deutlicherem Popowackeln Ausdruck.

Leider entpuppt sich der erste Akt des Musicals als ziemlich uninspiriert und lässt die eigentlich kleinen Patzer, die unweigerlich bei einer Premiere passieren, an diesem Abend zu größeren Pannen mutieren. Das Orchester spielt ambitioniert, allerdings so laut, dass die Sänger munter übertönt werden, und es dauert eine Weile, bis die Toningenieure alles angemessen ausgesteuert haben. Die Choreografie der Cagelles, die wirklich schön anzuschauen sind in ihren Federfummeln und den High Heels, wirkt leider derart asynchron, dass man manchmal gar nicht mehr hinschauen mag.

Zu guter Letzt erscheint die Inszenierung rund um Jean-Michels Verlobung seltsam seelenlos. George und Jean-Michel stolpern durch das Bühnenbild des Appartements und werden ständig unterbrochen von Sidekicks, wie Zazas Kammerzofe/Butler Jakob. Das untergräbt den Spielfluss und raubt dem Publikum die Aufmerksamkeit. Albins zeitweiser Ausschluss aus der Familie, verbunden mit der Bitte, sein Zuhause zu verlassen, um den Schein einer normalen Familie zu wahren, geht im ganzen Drumherum leider ein wenig unter. Das mittlerweile geflügelte Wort „Ich bin, was ich bin…“ von Zaza, das den ganzen Schmerz von der Verleugnung und den Verrat durch George und Jean-Michel ausdrückt und die Ambivalenz eines normalen Lebens zur Bühnenpräsenz aufzeigt, wird von Patrick Rohbeck zwar sehr gefühlvoll und mit viel Herzschmerz intoniert. Doch dann entlässt es das Publikum ein wenig unschlüssig in die Pause.

Ballett der Musikalischen Komödie

Nach dieser Unterbrechung werden sich die Pannen nahezu in Luft auflösen. Plätscherte im ersten Akt die Handlung ein wenig müde dahin, entpuppt sich der zweite Teil des Musicals als gefühlvolles, witziges, mitunter absurdes und atemberaubendes Showspektakel. George möchte Albin beim Essen mit Annes Eltern doch dabei haben und versucht, aus ihm den netten Onkel Albert zu machen. Der Versuch, ihm das Weibliche auszutreiben, dass Albin in Zaza nahezu perfekt verkörpert und das ihn auch als Person ausmacht, ist mit so viel Esprit und Charme dargestellt, dass man kaum glauben mag, dass dem ersten Teil genau diese Momente fehlten.

Schon steht die Familie Dindon vor der Tür. Trotz aller Bemühungen um die Darstellung eines konservativen Hauses, mitsamt einem überdimensioniertem Kreuz, das im Wohnzimmer von der Decke baumelt, scheint Monsieur Dindon (herrlich verstockt und übertrieben spießig dargestellt von Michael Raschle) noch nicht so richtig überzeugt von seiner Schwiegerfamilie. Als das Essen anbrennt und Albin doch lieber die leibliche Mutter von Jean-Michel verkörpert, versucht man zu retten, was zu retten ist. Ab ins Restaurant und so getan als sei alles in Ordnung und die heile, heterosexuelle Welt intakt. Nur reißt sich Albin bei einer spontanen Gesangseinlage in alter Gewohnheit die Perücke vom Kopf und heraus ist das Geheimnis um Jean-Michels gleichgeschlechtliche Eltern. Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Während Dindon die Verlobung untersagt, steht die Presse vor der Tür und wartet auf ein Foto des Politikers in Begleitung eines schwulen Pärchens. Eine List muss her und so rettet Zaza mit erpresserischer Härte und fixer Idee des Politikers Karriere.

Es folgt das große Abschlussspektakel mit allen Beteiligten, dass dem „La cage aux folles“ noch einmal alle Ehre in Bezug auf Lebenslust und Toleranz macht. Die Bühne ist fast nicht groß genug, um das gesamte Ensemble darauf in einem Traum aus Rosa, Glitzer und mächtig Sexappeal zu vereinen. Am Ende genießt das Ensemble den sehr langen Applaus des Premierenpublikums sichtlich erleichtert.

La cage aux folles

Musikalische Leitung: Stefan Diederich

Inszenierung: Giorgio Madia

Choreografie: Giorgio Madia

Musikalische Komödie; Premiere: 28. März 2015

Weitere Aufführungen: www.oper-leipzig.de

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