Valerie Fritsch erzählt in „Winters Garten“ vom Stadt- und Landleben, ohne dabei allzu Altbekanntes zu bedienen
Die Zeitschrift Landlust ist ein deutsches Phänomen. Mit einer Auflage von über einer Million Exemplaren läuft es für diese zweimonatlich erscheinende Publikation sehr gut auf dem erodierenden Zeitschriftenmarkt. Doch gleichzeitig ist Landlust auch ein Kommentar zum urban geprägten Zeitgeschehen. „Hey Städter, zieh doch in ein Haus aufm Land, wenn du dir die Altbauwohnung und den Garagenstellplatz in Zentrumsnähe nicht leisten kannst!“, scheint sie uns regelmäßig zwischen den Zeilen zuzurufen. Als Gedächtnisstütze und Ideengeber für den stressgeplagten Großstadtmenschen für den Umzug (zurück) aufs Land taugt das Dorfidyllen-Magazin offenbar allemal. Sonst wären seine Verkaufszahlen bei weitem nicht so imposant.
Aber wie kann man diesen Diskurs des Zwiespalts zwischen urbanem Kulturangebot und dörflicher Idylle vom Zeitschriftenwesen in die Literatur transportieren? Die noch sehr junge Österreicherin Valerie Fritsch unternimmt diesen Versuch in ihrem schmalen, aber trotzdem prallen zweiten Roman Winters Garten. Er erzählt die Geschichte von Anton Winter, der einst in der titelgebenden Gartenkolonie aufwuchs und im Mannesalter dann in die Stadt aufbrach, um dort als Vogelzüchter zu leben. Dort lernte er auch seine Frau Friederike kennen, mit der er eines Tages beschloss, wieder in den Garten seiner Kindheit zurückzuziehen.
Sehr viel mehr findet man an Handlung im konventionellen Sinne auf den 150 Seiten nicht vor. Trotzdem bereitet die Lektüre ein sinnliches Vergnügen, weil Winters Garten einen eigenen Kosmos aufmacht, der auch noch in einer ganz eigenen, blumigen Sprache vermessen wird. Da fällt es nicht weiter ins Gewicht, wenn die eine oder andere Szene im Roman, in der sich Anton und seine Friederike gegenseitig ihre Liebe beschwören einen Hauch zu kitschig und pathetisch geraten ist.
Unglaublich, aber wahr: Valerie Fritsch kann mit gerade mal 26 Jahren etwas, was nur wenige Autoren können. Sie nimmt ihre Leser an die Hand und öffnet ihnen die Augen für das, was wir gerne übersehen oder vielleicht nicht mehr sehen wollen. Der konsequent vorwärts getriebenen Prosa merkt man ohne Zweifel an, dass Fritsch in ihrem anderen Beruf als Fotografin die Welt bereist. Winters Garten zu lesen ist dementsprechend wie ein bewusster, flanierender Gang durch fremdes Territorium. Auch wenn die morbid-schöne Gartenkolonie eine Kopfgeburt von Valerie Fritsch sein mag, wird sie dank ihres eleganten Stils, wie man ihn eher von Autoren älteren Semesters erwarten würde, zur Wirklichkeit, die über das bedruckte Papier hinausreicht.
Tun wir zum Schluss etwas leicht Ungehöriges und schließen diese Rezension mit einem der schönsten Sätze aus Winters Garten, um zumindest einen kleinen Beweis für das eben ausgesprochene Lob zu liefern:
„Für Anton Winter war die Kindheit vollgestopft mit hohen Gräsern und Teerosen und grünen Äpfeln in den Bäumen, die man den ganzen Sommer über so begehrlich ansah, dass sie irgendwann schüchtern erröteten.“
Selten liest man eine ganze Kindheit so stilsicher in einem ganzen Satz zusammengefasst. Man darf wirklich gespannt sein, was von dieser Autorin noch kommt.
Valerie Fritsch: Winters Garten
Suhrkamp
Berlin 2015
154 S., 16,95 €
Kommentar hinterlassen