Baal, diesmal ohne Skandal, entpuppt sich als Qual

Brechts Frühwerk feiert Premiere am Leipziger Schauspiel

„Baal“ im Schauspiel mit den Darstellern (von links) Pina Bergemann, Anna Keil, Dirk Lange, Tilo Krügel, Sebastian Tessenow (Baal, stehend), Andreas Herrmann, Wenzel Banneyer (liegend). (Fotos: Rolf Arnold)

Mit Bert Brecht verhält es sich wie mit vielen kontroversen Intellektuellen und Künstlern die in Deutschland zu einer gewissen Berühmtheit gelangen: Man verehrt oder hasst sie. Brecht ging es da nicht anders, aber er antwortete auf empfundene oder tatsächliche Verachtung einfach mit einem neuen Text, meist in dramatischer oder lyrischer Form. Nun feiert sein Frühwerk Baal, das 1923 am Alten Theater in Leipzig uraufgeführt wurde und sogleich einen Skandal beim bürgerlich-spießigen Publikum auslöste, nun mehr über achtzig Jahre später Premiere am hiesigen Schauspiel.

Das Publikum erwartet ein glatter, kalter, rechteckiger Raum, der komplett mit Fliesen überzogen ist. Für das Bühnenbild zeichnet Irina Schicketanz verantwortlich und sie erschafft einen Raum ohne jegliche Spuren, dessen die Figuren sich bemächtigen. Die Fliesen dienen keinem Selbstzweck, sondern fungieren als Videoleinwand auf der Filmsequenzen die Szenerie immer wieder unterteilen und auch für Textfragmente und Regieanweisungen genutzt werden. Zugleich sind die Wände durchzogen von Türen, so dass die Figuren in die Kulisse eintreten und diese ohne weiteres wieder verlassen können. Dieser Raum steht als Symbol für die Selbstbezogenheit von Baal. Er schafft sich eine Welt, in der die reale Welt zwar Zutritt zu seiner Gedankenwelt bekommt, aber zugleich verhilft er ihm zu einer Abschottung nach außen. Jetzt sind Videoprojektionen auf einer Theaterbühne nun nicht mehr das innovativste Stilmittel, aber für diese Aufführung dient es sicherlich als unterstützendes Element, denn ohne den begrenzenden Raum und die Zusatzinformationen, die in Wort und Bild und als Off-Kommentar erzeugt werden, würden sich die Schauspieler auf der Bühne ganz verlieren.

Zu Beginn des Stückes tritt eine unbehagliche Stille ein, die einen Moment zu lange währt und das Publikum ein wenig nervös um sich schauen lässt – geht es nun los? Ja, es geht los und zunächst erklingt ein Prolog, der in dürren Worten in Brechts Motive einführt und das Publikum wohl einfangen soll. Allerdings wird dies derart monoton vorgetragen, dass man als Zuschauer gleich in den Sitz rutscht und sich bange fragt: Geht es den ganzen Abend so weiter?

Natürlich nicht, aber sagen wir es frei heraus: Besser wird es kaum mehr. Der Baal wird hier in seiner Urfassung auf die Bühne gebracht, der Text stammt aus dem Jahr 1918. Brecht änderte ihn bis zur Uraufführung 1923 allein dreimal, so dass die Aufführung des Urtextes durch Nuran David Calis an sich ein ambitioniertes Projekt ist, laut dem Regisseur der Reiz allerdings in der Form liege. Es sei die wohl „fragmentarischste und sprödeste“ Version.

Sebastian Tessenow (links), Wenzel Banneyer

Baal wird durch Sebastian Tessenow verkörpert und er erscheint als eine Art Hipster in grauen Röhrenjeans, schwarzem Achselshirt und unvermeidlichem Männerdutt, der weder sonderlich revolutionär noch akzentuiert in seinem Spiel auftritt. Er bleibt eigentümlich blass und seelenlos, obwohl diese Figur doch überbordend an Gefühlen ist: rotzig, gierig und verzweifelt. Außerdem aufsässig, empfindlich und egoistisch bis zur Schmerzgrenze sowie selbstzerstörerisch, um nur einige Emotionen aufzuzeigen, die man hätte verkörpern können.

Doch was passiert denn nun: Baal wühlt im Dreck, robbt über den Boden, hangelt sich an der Wand entlang und schreit. Das ständige Geschrei ist die Achillesferse des gesamten Stückes. Anstatt Baals Gefühlschaos darzustellen, schreit er gefühlt in jeder der 25 Szenen wenigstens einmal herum. Das geht an die zwei Stunden so und einige der Zuschauer verlassen nach nicht einmal der Hälfte des Stückes völlig entnervt den Saal. Nun ist das Geschrei ein stilistisches Mittel, um einer Figur Leben einzuhauchen, über die Zeit ist es aber nichts anderes als bei einem schreienden Baby. Es zerrt unheimlich an den Nerven und für ein Theaterstück zeugt es von purer Ideenlosigkeit, seine Figur so zu präsentieren. Was könnte der Baal nicht für eine Persönlichkeit sein: Der Charmeur, der die Frauen herum kriegen will und ihnen erst schmeichelt und sie dann wegwirft wie ein benutztes Taschentuch. Der kongeniale Autor, der sich über den Dingen stehend sieht und doch nur den gesellschaftlichen Konventionen dienen muss, will er sein Geld auch weiterhin verdienen. Der Jammerlappen, der die Schuld stets bei anderen sucht und über sein Lamentieren auch den letzten Freund verliert. All das hätte man gern gesehen.

Seine Mitspieler erscheinen als das, wofür sie vorgesehen sind: Marionetten in einem Spiel aus Selbstbezogenheit und Speichelleckerei, aus Feindschaft und Verdammnis. So spannt Baal seinem Freund Johannes, seltsam überdreht dargestellt von Ulrich Brandhoff, die Freundin aus ohne jegliche Konsequenz für sein Verhalten. Ekart wird durch Wenzel Banneyer als eine Art zu altes Streetkid verkörpert. Er steht Baal als bester Freund bei, wenn auch zähneknirschend und endlich einmal Konsequenzen für dessen Verhalten einfordernd, wofür er letztendlich mit seinem Leben bezahlt. Die Frauen in diesem Stück sind Beiwerk, benutzt und verstoßen, das war´s. Nein, stimmt nicht, den obligatorischen Mutterkomplex gibt es auch! Fatima Zair erscheint als Bildprojektion der verzweifelt starrenden Mutter, der schier endlose Vorwürfe über die Lippen kommen und deren Tod Baals Verhängnis wird.

Man geht zwangsläufig mit zu hohen Erwartungen an eine Aufführung eines Brecht-Stückes, denn der Autor selbst und später Helene Weigel prägten mit dem Berliner Ensemble die Inszenierungen so stark, dass bis heute ein Jeder ein gewisses Bild über ein Brecht-Drama im Kopf hat und sei es manchmal eine bis zur Unkenntlichkeit verpatzte Aufführung der Dreigroschenoper.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die jeweiligen Regisseure es schwer haben, diesen Stücken ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Zweifelsohne hatte die Inszenierung an diesem Abend schöne Ideen und eine moderne Inszenierung zu bieten. Und unter der kommerziell sehr erfolgreichen Intendanz von Enrico Lübbe, welche geprägt ist von Klassikerinszenierungen, die es allem und jedem recht machen, ist dieses Stück eine wohltuende Abkehr von Bewährtem inklusive des Vorhaltens des Spiegels an das Publikum.

Doch alles in allem bleibt nur das Fazit: Dieser Baal war – leider – eine Qual!

Baal

Regie: Nuran David Calis

Mit: Wenzel Banneyer, Pina Bergemann, Ulrich Brandhoff, Andreas Herrmann, Anna Keil, Tilo Krügel, Dirk Lange, Lisa Mies, Michael Pempelforth, Stefanie Schwab, Sebastian Tessenow

Schauspiel Leipzig; Premiere: 5. Juni 2015


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  1. als große brecht-verehrerin habe ich bei diesem baal ganz schnell das ende der vorstellung herbei gesehnt.einzig und allein gilt sebastian tessenow mein respekt.große leistung bei soviel text!

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