Peter Alexander trifft Ingeborg Bachmann

Daniel Kehlmann veröffentlicht seine Frankfurter Poetikvorlesungen, Patrick Modiano lässt meisterlich einen lethargischen Schriftsteller erwachen und Ralf Rothmann liefert Streitbares über den Zweiten Weltkrieg


Daniel Kehlmann beschwört die Geister

Für den frisch gekürten Büchnerpreisträger Rainald Goetz ist Daniel Kehlmann ein spießiger Vertreter der Angestelltenliteratur. Trotzdem besitzen Kehlmanns Texte einen gewaltigen Hintersinn und die notwendige Portion Humor, um ihn vom Vorwurf des Konservatismus frei zu sprechen. Wie Kehlmann seine Ideen findet, das kann man nun in seinen mit dem Shakespearezitat Kommt, Geister betitelten Frankfurter Poetikvorlesungen in Erfahrung bringen. Nach den glänzenden Frankfurter Vorträgen Terézia Moras 2013 (nachzulesen in Nicht sterben, erschienen bei Luchterhand) war Kehlmann der nächste in der Reihenfolge illustrer Autoren, die in der Mainmetropole ihr Schreiben erklären durften. Anstatt aber konkrete Inspirationen oder Lieblingsautoren ins Feld zu führen, begann Kehlmann allen Ernstes mit dem filmischen Werk des österreichischen Entertainers Peter Alexander. Die banalen Filmchen, die die Gräuel des zweiten Weltkriegs vergessen machen sollten, stehen für Kehlmann im krassen Gegensatz zum Werk von Mahnern wie Günter Grass oder Ingeborg Bachmann. Aber auch die Literatur aus dem Bereich der Fantastik untersucht Kehlmann eingehend anhand von Tolkien und Stephen King. Somit ist Kommt, Geister der Entwurf eines eigenen literarischen Universums und um einiges ergiebiger als Kehlmanns vergurkter letzter Roman F.

Daniel Kehlmann: „Kommt, Geister“

Erschienen bei Rowohlt

19,95 €, 176 S.


Patrick Modianos neuer Roman sticht unter seinen vielen heraus

Eine der guten Eigenschaften Patrick Modianos ist seine publizistische Zuverlässigkeit. So wie Woody Allen jedes Jahr einen zumindest stets sehenswerten Film in die Kinos bringt, so schreibt Modiano gefühlt jedes Jahr einen neuen, wenn auch schmalen Roman. Der allerneueste, der in Frankreich rechtzeitig zur Vergabe des Literaturnobelpreises an Modiano im letzten Jahr erschien, trägt den etwas sperrigen Titel Damit du dich im Viertel nicht verirrst und erhebt die Amnesie, die Verwirrtheit und das unkontrollierbare unserer Erinnerungen zur Kunstform. Held des Romans ist der lethargisch gewordene Schriftsteller Jean Daragane, der eines Tages unerwarteterweise einen Anruf erhält. Der fremde Anrufer sammelt Material zu einem Mordfall, zu dem Daragane angeblich wichtige Hinweise liefern könnte. Aus diesem Anruf als Initialzündung ergibt sich eine träumerische Reise in die Kindheit des Helden. Die kunstvolle Undurchsichtigkeit der Handlung und ihrer Protagonisten in Verbindung mit Modianos schnörkelloser, metaphernfreier Sprache machen diesen schmalen Roman zu einem der besten von rund zwei Dutzend, die Modiano bisher verfasst hat. In anderen Worten: Damit du dich im Viertel nicht verirrst ist ein Meisterwerk.

Patrick Modiano: „Damit du dich im Viertel nicht verirrst“

Erschienen bei Hanser

18,90 €, 160 S.


Ralf Rothmann liefert mit seinem Kriegsroman Stoff für eine Debatte

Was war Rothmanns letztes Buch bloß für ein Debakel! Der Erzählungsband Shakespeares Hühner geizte nicht mit Kitsch und Klischees und erschreckender Rückständigkeit, was moderne Themen anging. Um einiges lesenswerter ist nun Rothmanns neuester Roman Im Frühling sterben, der es sogar auf die vorderen Ränge der Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat, nachdem einige Feuilletons das Buch hymnisch besprochen haben. So ganz mag man sich da als Lobredner nicht einreihen, auch wenn der Ansatz, von zwei sehr kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges zwangsrekrutierten Jugendlichen zu erzählen, hochinteressant ist. Wirklich viel war da an der Front nämlich nicht mehr los und man musste schauen, dass man als Soldat so unversehrt wie möglich aus der Sache wieder herauskam. Trotzdem ist die Dialoglastigkeit des Romans oft enorm enervierend und auch sprachlich schlittert Rothmann gelegentlich nur am Kitsch eines Landser-Hefts vorbei, auch wenn der Text natürlich eine eindeutige, unromantische Position gegen Krieg bezieht. Eigentlich ist es da schon fast verwunderlich, dass dieser Roman keine größere Debatte abseits der Lobeshymnen ausgelöst hat. Kann man denn so wie Rothmann über Krieg schreiben und dessen Gräueln gleichzeitig gerecht werden? Wer das wissen will, der muss diesen Roman lesen.

Ralf Rothmann: „Im Frühling sterben“

Erschienen bei Suhrkamp

19,95 €, 234 S.


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