Überraschend ernst

Res severa verum gaudium: Das Gewandhausorchester eröffnet mit einem wuchtigen Richard-Strauss-Programm die neue Saison

„Res severa verum gaudium“ (Wahre Freude ist eine ernste Sache) lautet der Leitspruch des Gewandhausorchesters, der auch an der Orgel prangt. (Foto: Gerd Mothes)

Zur Saisoneröffnung greifen Orchester gern einmal in die Effektkiste und setzen beliebte Publikumsmagneten aufs Programm. Nicht so das Gewandhausorchester, dem der musikalische Ernst ja wortwörtlich in den Konzertsaal eingeschrieben ist. Während das MDR-Sinfonieorchester am 6. September mit einer feurigen „Nacht der Mayas“ in die neue Saison startet, beginnt die 235. Gewandhaus-Spielzeit mit einem wuchtigen Richard-Strauss-Programm, das durch Mozarts Klarinettenkonzert nur bedingt abgemildert wird.

Am Anfang steht eine Tondichtung des jungen Richard Strauss. In „Tod und Verklärung“ wird das Sterben eines Künstlers musikalisch umgesetzt, seine Erinnerungen, sein Todeskampf und schließlich die Entrückung in eine andere Sphäre. Dies ist effektvolle, angesichts des Sujets fast schon unangemessen theatralische Musik, die ihre Wirkung vor allem aus dem ständigen Wechselbad der Gefühle zieht. Hier ist auf Chailly Verlass, der in exemplarischer Weise die so unterschiedlichen seelischen Zustände in Szene setzt. Vom tastenden Beginn über das Schwelgen in seligen Erinnerungen – der spätere Opernkomponist betritt schon hier die Bühne! – bis hin zum dramatischen Ringen mit dem Tod, wird jede Stimmung überzeugend vermittelt. Das Gewandhausorchester zeigt sich zum Saisonauftakt in allerbester Verfassung, sowohl im bewundernswert homogenen Tuttiklang als auch in den zahlreichen fantastischen Soli des heutigen Abends. Nur, wenn die Musik gar zu laut wird, löst sich mitunter die Struktur in eine undifferenzierte Klangballung auf, aus der allenfalls noch die Posaunen herausstechen. Und wo wir gerade bei den wenigen Beanstandungen sind: Das Ende hätte durchaus noch etwas „verklärter“ geraten können. Allein schon die vergleichsweise große Lautstärke lässt die Musik doch noch mit einem Bein im Diesseits stehen.

Klarinettist Martin Fröst (Foto: Mats Bäcker)

Meine Klavierlehrerin hat einmal scherzhaft gesagt, dass sie immer, wenn sie Brahms übe, das Gefühl habe, hinterher ein Fenster öffnen zu müssen, um frische Luft hineinzulassen. Einen ähnlichen Effekt hat für mich heute Abend das auf Strauss folgende Mozart-Konzert, das den spätromantischen Klangbombast hinaus- und dafür klassische Schlichtheit hereinlässt. Das heutige Eröffnungskonzert ist zugleich erster Teil einer Strauss-Mozart-Trilogie, die in den nächsten Wochen fortgesetzt wird und jeweils Strauss’sche Tondichtungen mit Instrumentalkonzerten Mozarts kombiniert. Heute steht Mozarts spätes Klarinettenkonzert auf dem Programm, das man zwar immer gern hört und das überdies in einer sehr hörenswerten Version dargeboten wird, das aber inmitten der groß besetzten und musikalisch extrovertierten Strauss-Werke seltsam verloren wirkt. Dabei liefert Klarinettist Martin Fröst, ein wahrer Magier seines Instruments, nichts weniger als eine Glanzleistung ab. Sein Spiel ist virtuos, lebt und atmet, der Klarinettenklang ist von unerhörtem Klangfarbenreichtum. Der Orchesterpart gerät dabei fast zur Nebensache, was schade ist; denn Chailly holt so manches spannende Detail ans Licht, vor allem im ersten Satz.

Nach der Pause gibt es starken Tobak: Strauss‘ „Metamorphosen“, eine Komposition für 23 Solostreicher, entstanden als Auseinandersetzung mit der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Es ist ein ergreifender, hochkomplexer Klagegesang, der aber im Gegensatz zu anderen Lamenti, wie Samuel Barbers „Adagio for Strings“ oder dem Finalsatz von Tschaikowskis „Pathetique“, immer eine gewisse Objektivität bewahrt. Chailly gelingt dieser Spagat zwischen autobiografischer Trauermusik und polyphoner Kompositionsstudie perfekt. So werden die „Metamorphosen“ zum eindeutigen musikalischen Höhepunkt des Abends.

Nach einer längeren Umbaupause, die den erneuten dramaturgischen Bruch des Konzerts nur begrenzt kaschieren kann, gibt es schließlich als Aufmunterung für den Nachhauseweg noch den beliebten „Till Eulenspiegel“. Auch hier sind betörende Soli zu hören, auch hier sind die musikalischen Charaktere wunderbar getroffen, auch wird’s leider zu dumpf, wenn’s zu laut wird. Und als die Schlussakkorde verklungen sind, bewahrheitet sich erneut, was Klaus Schweizer treffend in Reclams Konzertführer schreibt: „Kein Dirigent von Rang, kein Orchester von Format, denen nach einer inspirierenden Darstellung des Till nicht der Erfolg sicher wäre!“ Was zu beweisen war.

Gewandhaus-Saisoneröffnung 2015/16

Richard Strauss:

• Tod und Verklärung op. 24

• Metamorphosen

• Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28

Wolfgang Amadeus Mozart:

• Klarinettenkonzert A-Dur KV 622

Gewandhausorchester

Dirigent: Riccardo Chailly

Solist: Martin Fröst, Klarinette

28. August 2015, Gewandhaus, Großer Saal

Nächste Konzerte des Mozart-Strauss-Zyklus: 3./4./6. September und 1./2. Oktober

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