Horrorchic zum Wohlfühlen

In Guillermo del Toros „Crimson Peak“ verkommt der Schrecken zum Selbstzweck

Edith (Mia Wasikowska) wird wie alle Figuren im Film von Geistern der Vergangenheit heimgesucht. (Fotos: Verleih)

Geister sind Metaphern für die Vergangenheit. Als Erklärung gleich zu Beginn von der Protagonistin vorweg genommen, wird die Vergangenheit als Erzählmotiv des Films Crimson Peak von Guillermo del Toro zum richtungsweisenden Programm. In diesem Film läuft nicht eine einzige Figur über die Leinwand ohne nicht Unmengen an Vergangenheit ― sprich Geister in all ihrer durchsichtigen, sich selbst vorwärtsschiebenden Gruseligkeit ― hinter sich herzuschleifen. Tod wird hier zur Erzählung, die alles zusammenhält und nicht (ver)gehen will.

Der Film setzt ein in Zeiten, da die Verhältnisse sich beschleunigen und die kapitalistische, industrielle Revolution keinen Stein auf dem anderen lässt. Frauen, die schreiben, und Männer, die spekulieren, tummeln sich hier als Varianzen ein- und derselben Figur: eben jenen, die sich aus den Verfallsprodukten der alten Ordnung heraus selbst zu Subjekten machen. Crimson Peak erzählt von der Unmöglichkeit, vom Scheitern dieses Unterfangens.

Edith (Mia Wasikowska), die aufstrebende Schriftstellerin aus gutem Hause, wird seit jeher vom Geist ihrer Mutter (schwarz und eklig wie die schwarze Pest, die sie dahinraffte) verfolgt, sieht sich davon allerdings eher zu Geistergeschichten inspiriert als nachhaltig verstört. Eine Gabe, die ihr noch zu Gute kommen soll in diesem Meer aus Ausstattung und angedeutetem Schrecken in Wohlfühl-Motten-Gothik-Optik. In Zeiten, da das Neue unaufhaltsam auf die Gegenwart einbricht und alles revolutioniert, was zuvor Halt und Sicherheit gab, setzt sich das Alte mitunter fest und kehrt in veränderter Form wieder (ihr wisst schon: Geister). Das Neue bricht auf die wohlbehütete Edith, man ahnt es, in Form eines mysteriösen Fremden (Tom Hiddleston) ein. Nachdem eine familiäre Tragödie auch das letzte Quäntchen Sicherheit der Lüge überführt, folgt Edith ihrem Fremden und seiner Schwester Lucille (Jessica Chastain) zum Familienanwesen, irgendwo in England, mit nichts als rotem Ton in der Erde. Was sich im Anschluss Bahn bricht, mag hier nicht weiter ausgeführt werden, lebt der Film doch gerade davon, die Überraschungen hinauszuzögern. (Hier also nur eine lose Aneinanderreihung: rote Babyleichen, Beile und Motten ohne Ende.) Die totale Aufklärung muss am Ende vielleicht enttäuschen.

Ein mysteriöser Fremder (Tom Hiddleston) führt Edith auf sein Familienanwesen, wo (Überraschung!) noch mehr Geister lauern.

In Crimson Peak färben sich die Geister im Farbton ihres Ablebens, Häuser sinken unaufhaltsam in blutrote Erde — die Vergangenheit frisst sich unaufhaltsam zurück in die Gegenwart. Im Haus selbst schneit es (was aber mehr mit dem riesigen Loch zu tun hat, als mit Übersinnlichem), während Abdrücke der dort festsitzenden Geister es nicht hinter sich lassen können und Nacht für Nacht an ihren Ketten rasseln. Man mag dem Film seine mitunter platten Bilder nicht vorwerfen, ist diese Durchsichtigkeit doch in vielen Punkten erst für den Charme jener angegilbten Produktionen verantwortlich, die man heute schmunzelnd als „Ausstattungshorror“ abtut und auf die in Crimson Peak mehr als nur verwiesen wird. In den Reminiszenzen alter Filmtechniken spiegelt sich eine nostalgische Suche nach überbordendem Horrorchic, der immer zwischen Camp und tatsächlichem Schrecken schwankt. Im Camp steckte jedoch noch die Möglichkeit durch überbordende Übertreibung Widersprüche aufscheinen zu lassen und sie als gesellschaftlich hergestellt zu entlarven. Indem del Toro sich jedoch nur der Form bedient und die Widersprüche Widersprüche sein lässt, verbleibt er bei der Verdopplung von bekannten Stereotypen, anstatt diese zu entlarven. (Auch wenn er es sichtlich versucht.)

Besonders deutlich lässt sich dies an seinen beiden Frauenfiguren — Edith und Lucille — zeigen: Beide entsprechen klassisch weiblichen Stereotypen. Auf der einen Seite die reine, jungfräuliche Heilige, auf der anderen die sexualisierte, eifersüchtige Wahnsinnige. Diese klaren Trennungen durchziehen durchaus Ambivalenzen. Del Toro lässt seine Heilige in der Verführung gern auch mal eine bestimmende Rolle einnehmen und etwas mit der Idee der eigenen Emanzipation spielen: Antwortet Edith doch zu Beginn auf einen Vergleich mit Jane Austen (sprich, schreibende Frauen bekommen keine Männer ab): „Lieber wäre ich Mary Shelley, die starb als Witwe.“ Diese Unentschiedenheit kassiert del Toro relativ schnell wieder ein, und Ediths Handlungen verbleiben mitunter gänzlich unvermittelt: In einem Moment ist dem ganzen Horror allein mit einem hysterischen Anfall beizukommen, und im nächsten rennt sie ohne mit der Wimper zu zucken in den Keller des Bösen. Del Toro vermischt so das Stereotyp der Heiligen sichtlich mit dem historisch neueren, aber nicht weniger klischeehaften Bild der starken weiblichen Heldin, ohne sich wirklich damit zu beschäftigen, wie das denn jetzt zusammengeht. Angesichts der gängigen stereotypen Darstellung weiblicher Figuren im Horrorgenre ein durchaus anzuerkennender Versuch, der jedoch zu unvermittelt erscheint, um aus der Figur der Edith ein tatsächlich atmendes und handelndes, ein glaubhaftes Subjekt zu kreieren.

Was beide Frauen letztlich in ihrer zunehmenden bluttriefenden Verzweiflung eint, ist ihre Abhängigkeit aus Liebe — mitunter monströse, aber nichts desto trotz Liebe. Ebenso ein uraltes Motiv, was del Toro in keinem Augenblick, weder auf formaler noch auf inhaltlicher Ebene, bricht und damit letztlich nur hübscher ausstattet. Es kann nur eine (für ihn) geben: als Motiv so mottenzerfressen wie der Horrordachboden des Anwesens in Crimson Peak.

Ausstattungshorror als Genre hat seine filmischen Höhepunkte längst hinter sich: Auch der zeitweilig wirklich verspielte und schön anzuschauende Versuch von del Toro wird daran nichts ändern. Crimson Peak ist ein Spiel mit klassischer Form und ihrem Inhalt, der vor Ideen und Ausstattung schier zerbirst, nicht aber das Spiel neu erfindet und zu oft alte Klischees nur verdoppelt. Im Vergleich zu seinem Meisterwerk Pan’s Labyrinth speist sich hier das Grauen nicht aus der kindlichen Verarbeitung tatsächlicher, sondern verliert sich in zwanghaft bedeutungsschwangerer Metaphorik von kaum nachvollziehbarem Schrecken.

Crimson Peak

USA 2015, 119 Minuten

Regie: Guillermo del Toro; Darsteller: Mia Wasikowska, Tom Hiddleston, Jessica Chastain

Kinostart: 15. Oktober 2015, aktuell im Regina-Palast, Cineplex und Autokino auf der Alten Messe


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