So sein, wie man ist

DOK Leipzig: Mario Schneider versteht es einfach, sich Menschen einfühlsam mit der Kamera zu nähern. Dies gelingt ihm auch mit seinem neuesten Dokfilm „Akt“ – obwohl er manchmal etwas abdriftet

Das Podest, auf dem man nicht posieren sollte: Mario Schneiders neuer Film begleitet drei Leipziger Aktmodelle. (Foto: DOK Leipzig)

Mario Schneider ist auf dem DOK Leipzig kein Unbekannter. Schon seine letzten beiden Filme Mansfeld und Heinz und Fred waren im Deutschen Wettbewerb vertreten. Beide Filme stöberten Menschen aus dem Mansfelder Land auf und entwarfen liebevolle Portraits der Protagonisten und der Region. Sein neuester Film Akt ist zwar ein paar Kilometer weiter östlich in Leipzig verortet, aber die Wärme und das unglaubliche handwerkliche Geschick, sich Menschen mit der Kamera zu nähern, sind geblieben.

Als Ausgangspunkt dient Schneider das Thema Aktzeichnen. In Kunsthochschulklassen und Malgruppen trifft er vier unterschiedliche Menschen, die regelmäßig Akt stehen. Beim Betreten der Räume atmet die Kamera die hellen Ateliers förmlich ein und erforscht den Raum mit großartigen Kamerafahrten. Ein Blick in die Gesichter der Zeichnenden zeigt, wie sie abmessen, abschätzen und ganz vertieft ihrer Arbeit nachgehen. Dann der Schwenk zum Modell. Lange erst von hinten, nur schemenhaft zu sehen. Doch nach und nach tastet die Kamera sich heran und traut sich die bloßen Leiber der Modelle zu erkunden. Dabei tritt klare Schönheit hervor, die Schönheit des Menschen an sich. Schneider schenkt dem Zuschauer diese Momente wiederholt im Film.

Neben diesen großartigen Bildern, die ohne Worte tief ans Menschliche rühren, gibt es aber auch ganz handfeste Geschichten. Denn wer sind diese Menschen, die Akt stehen, welches Leben verbirgt sich hinter der äußeren Hülle? Schneiders erste Protagonistin ist Uta Pilling, die vielen Leipzigern längst ein Begriff sein dürfte, steht sie doch regelmäßig mit ihrem Akkordeon in der Innenstadt und schmettert den Passanten ihre philosophisch-derben Lieder entgegen. Pilling ist schlicht und ergreifend ein Original, und man merkt schnell, dass auch der Regisseur starkes Gefallen an ihr gefunden hat, denn sie nimmt gefühlt die meiste Zeit im Film in Anspruch. Ihre Lebensgeschichte ist so reich an Brüchen und Erfahrenem, dass man mit ihr ohne Probleme einen eigenen Film drehen könnte. Ihre Leinwandpräsenz entwickelt dann auch eine Art Sog, gegenüber dem die Darstellung der anderen Protagonisten fast ein bisschen abfällt.

Ein weiterer Glücksfall ist die HGB-Studentin der Malerei-Klasse, die selbst als Aktmodel posiert. Sie sagt im Film den eindrücklichsten Satz: Die Funktion beim Aktstehen beschränke sich darauf, so zu sein wie man ist, ohne Vorteilspose, ein Mensch wie jeder andere eben auch. Mit ihr begeht der Zuschauer die Wege der Künstler hinter den Staffeleien und hört so schöne Sätze wie „Lithographie ist scheiße“. Dieser wunderbare Spagat zwischen Kunst und Lebenskunst ist an vielen Stellen gut geglückt.

Nur die Frage, was die Protagonisten denn nun bewegt Akt zu stehen, rückt etwas ins Abseits. Bei der HGB-Studentin bekommt man als Zuschauer noch eine ungefähre Ahnung. Doch die anderen drei dominieren durch ihre Lebensgeschichten, in denen sich der Regisseur regelrecht verliert. Aber stellt sich Max vor die Klasse, weil er damit seinen Geldbeutel aufbessern will, oder weil er den Kontakt zu den Künstlern spannend findet? In diesen Momenten zerfällt die Struktur des Films etwas, der Zusammenhang zwischen den ausgewählten Protagonisten scheint beliebig und weist keine tiefere Bedeutung auf. Das ist dann aber auch schon das einzige kleine Manko in diesem sonst gelungenen Film.

Alle die, die den Film beim DOK verpassen, sei gesagt, dass eine Auswertung in den hiesigen Kinos schon gesetzt ist: In Deutschland wird Real Fiction die Herausbringung übernehmen, einen genauen Starttermin gibt es leider noch nicht. Aber anschauen lohnt sich!

Akt / Naked Beauty

Deutschland 2015, 105 Minuten

Regie: Mario Schneider

DOK Leipzig 2015

Deutscher Wettbewerb

Filminfos auf www.dok-leipzig.de

Ein Kommentar anzeigen

  1. Frecheit bis heute Mario Schneider und alle anderen Beteiligten, dass ihr den Modellen, die sich von euch für den Film haben hergegeben, NICHTS von euren EINNAHMEN ABGEGEBEN HABT. Ethisch eben so richtig das letzte. Denn nur durch sie seid ihr zu dem Film gekommen.

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