Mein Herz schlägt Kino

DOK Leipzig: In „Cinema, mon amour” feiert Regisseur Alexandru Belc, dem Titel getreu, die Liebe zum Kino. Sein Protagonist Victor ist ein waschechter Cinephiler, den man einfach lieben muss

Victor ist 58 und arbeitet seit 40 Jahren für das „Cinema Dacia“ im rumänischen Piatra Neamt. (Foto: DOK Leipzig)

Schon die ersten Bilder von Cinema, mon amour treiben jedem Cineasten Tränen in die Augen: Drei Kinder stehen auf einem Dach und entledigen alte Spulen von ihren 35-mm-Filmen. Kurz darauf schaut sich eines der Kinder genauer an, was es denn auf dem Zelluloid zu sehen gibt. Gebannt folgt es plötzlich der Geschichte, bis die Rolle abrupt zu Ende ist.

Die unterschiedlichsten Emotionen liegen in diesem großartigen, kleinen Film immer nah beieinander. Vom Lachen zum Weinen, vom Tanzen zum Schweigen. So wie das Kino selbst eben auch ist!

Victor ist 58 und arbeitet seit 20, 30, nein, sogar 40 Jahren im „Cinema Dacia“ in Piatra Neamt. Als Manager, Filmvorführer und für sonstige anfallende Arbeiten. Zu Beginn lässt uns Cinema, mon amour wissen, dass es einst 400 Kinos in Rumänien gab, heute nur noch 30! Eins davon ist eben das „Cinema Dacia“. Es ist das Einzige in Piatra Neamt. Doch trotz dieses Exotenstatus‘ ist das Überleben für Victor und seine beiden Angestellten Cornelia und Lorena nicht einfacher geworden.

Das Gebäude stammt aus sozialistischen Zeiten und zerfällt Victor praktisch unter den Händen. Im Sommer mag es ja noch gehen, aber im Winter, wenn die Heizung nicht funktioniert, wird es schlimm. Denn natürlich frieren dann nicht nur Cornelia und Lorena, sondern auch die Besucher. Die Tricks, die sich die Kinofamilie überlegt, gehen ans Herz. Decken werden ausgeteilt, heißer Tee wird ausgeschenkt und nach abwegigen Möglichkeiten gesucht, den Saal doch noch geheizt zu bekommen. Aber es ist ja nicht so, dass die Leute Schlange stehen würden. Nein, nicht so wie früher, als 907 Leute kamen, um Titanic zu sehen. Dennoch hat Victor es geschafft zu einer Gruppe Jugendlicher eine Bindung aufzubauen. Sie dürfen sich Filme wünschen und werden auch sonst so gut es geht umhätschelt. Die Generation von morgen fürs Kino zu begeistern, ist wichtig, das weiß Victor. Sein cinephiles Herz könnte sowieso nicht anders.

Regisseur Alexandru Belc hat zweieinhalb Jahre im „Cinema Dacia“ gedreht. Was zu Beginn ein Film über das Kinosterben in ganz Rumänien werden sollte, ist zu einem exemplarischen Film geworden. Denn der Kampf Victors steht stellvertretend für die Schwierigkeiten einer ganzen Branche, und das nicht nur in Rumänien. In Deutschland konnte das Leinwandsterben im letzten Jahr etwas gebremst werden, und dennoch sind bestimmte Regionen unterversorgt, oder lieblose Multiplexe prägen das Bild. Hierzulande gibt es aber die Filmförderanstalt (FFA) und andere Institutionen, die sich um das Überleben der Kinos bemühen. Film ist eben nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgut. In Deutschland besteht da fast Einigkeit.

In Rumänien scheint das Bewusstsein für diese Kultur jahrzehntelang vernachlässigt worden zu sein. Der eigentliche Besitzer des „Cinema Dacia“ lässt sich nicht einmal blicken, per Telefon ist er nicht erreichbar. In Bukarest sagt man Victor, dass man gerade vor zwei Monaten angefangen hat, sich gegen das Kinosterben zu engagieren. Doch konkrete Hilfe bekommt er nicht. So handelt Victor allein. Er kauft günstige digitale Technik, denn 35-mm-Film gibt es nicht mehr, auch wenn der Projektor gerade erst repariert worden ist. In Eigenregie wird die Fassade des Hauses renoviert. Und dazwischen: Victor, Cornelia und Lorena, die auch mal allein im Kinosaal sitzen, um sich einen Film anzusehen, im Saal einen Tango hinlegen oder Kartoffeln im Projektionsraum kochen.

Jede Szene dieses Films fesselt einen, als Zuschauer leidet man mit. Regisseur Belc hat ein tolles Händchen für seine Protagonisten. Besonders Victor ist natürlich im Fokus und trägt den Film auch über kleine formale Stolpersteine. In einer Szene sitzt er auf dem Rand der Kinobühne, trinkt Wein, erzählt aus seinem Leben. Dann kommen ihm die Tränen, denn dieses Kino ist alles für ihn, sein zu Hause, seine Familie (seine tatsächliche Frau ist nur ein paar Mal über Skype zu sehen). Belc schafft es, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein und arrangiert die 300 Stunden Material gekonnt zu einem stimmigen Film.

Für Cineasten auf jeden Fall sehenswert!

P.S. Für alle, die neugierig sind, wie es mit Victor und dem Kino weiterging, sei zumindest beruhigend gesagt: Cinema, mon amour wird im „Cinema Dacia“ eine große Premiere feiern. In Leipzig wurde Victor von den Zuschauern wie ein kleiner Held gefeiert und zeigte sich dankbar. Man sieht sich im Kino, Victor!

Cinema, mon amour

Rumänien, Tschechien 2015, 70 Minuten

Regie: Alexandru Belc

DOK Leipzig 2015

Next Masters Wettbewerb

Filminfos auf www.dok-leipzig.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.