Delacroix und Delaroche– Geschichte und Gedichte in Farbe

Mit der Ausstellung zu Eugène Delacroix und Paul Delaroche ermöglicht das Museum der bildenden Künste zwei Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts einen fruchtbaren Dialog, den sie selber nie führen wollten. Gewinnertext des Friedrich-Rochlitz-Preises für Kunstkritik 2015, 1. Platz

Paul Delaroche, Napoleon I. in Fontainebleau am 31. März 1814 nach Empfangder Nachricht vom Einzug der Verbündeten in Paris, 1845 (Bild: MdbK)

Abgekämpft und gedankenversunken sitzt Napoleon mit schlichtem grauen Mantel und Dreck bespritzten Reitstiefeln in einem karminroten Interieur mit schwerem Vorhängen auf einem feinen ebenfalls rot gepolsterten Stuhl. Er muss noch eben mit dem Pferd durch regennasse Felder geritten sein. Sein lichtes, dunkles Haar hängt ihm noch vom feuchtheißen Hutklima verklebt in die Stirn. Doch der Hut liegt nun hingeworfen neben seinen Füßen auf dem Boden. Auch den Degen hat er ausgezogen und auf einem kleinen runden Tisch abgelegt. Sein Kopf neigt sich zur Brust, soweit der enge Kragen seiner weißen Uniform es gestattet. Dennoch schaut er nicht nach unten, sondern eher in eine abstrakte Ferne. Die Glut seines Willens, das sagen seine Augen, ist noch nicht erloschen, sie hat sich jedoch in sein Inneres zurückgezogen.

So imaginierte sich Paul Delaroche Napoleon I. in der Stunde, zu welcher er am 31. März 1814 in Fontainebleau die Nachricht des Einzugs seiner Feinde in Paris erhalten hatte. Delaroche war bei Napoleons Niederlage noch ein 17-jähriger Mann gewesen. Gemalt hat er das Bild 30 Jahre später für den Leipziger Seidenhändler Adolph Heinrich Schletter. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 1845, galt Delaroche als einer der führenden französischen Maler und als prominentester Vertreter der französischen Romantik und des Historismus.

Schletter hat der Stadt Leipzig, als er 1853 starb, seine große Sammlung französischer Malerei mit 89 Gemälden vermacht. In einem eigenen Raum präsentiert das Museum nun einige dieser Gemälde, während Delaroches Napoleon in der Hauptausstellung zu sehen ist, die insgesamt 35 Gemälde, 50 Zeichnungen und 50 Grafiken von Delaroche und Delacroix verbindend und kontrastierend aus einigen deutschen und internationalen Sammlungen zusammengeführt hat.

Delaroche hatte mit seinem Händler Adolphe Goupil nicht nur einen Vertrieb seiner Gemälde aufgebaut, sondern auch in gute Kopien per Kupferstich investiert – eine sehr aufwendige Arbeit, die Monate und Jahre benötigte. Einmal fertig gestellt, trugen diese Kupferstiche dazu bei, seine Bilder weit über Paris hinaus zu verbreiten. Das Museum der bildenden Künste zeigt auch deshalb nicht nur die großen Gemälde, sondern das ganze Spektrum der Arbeiten – Skizzen und Zeichnungen, Aquarell- und Ölstudien zur Vorbereitung der Gemälde und dann auch Kupferstiche und Lithografien, die einen größeren Rezipienten-, Bewunderer- und Käuferkreis erschlossen.

Für die Herstellung des hier ausgestellten Gemäldes Die Söhne Eduards IV, welches die beiden Jungen zusammen auf ihrem Bett sitzend und lesend zeigt, kurz bevor sie ermordet werden, begnügte Delaroche sich nicht damit, historiographische Berichte zu lesen, sondern reiste dafür auch nach England. Dort ließ er sich von einem Tischler für sein Atelier eine Kopie des Bettes herstellen, in welchem der Thronfolger und sein Bruder ermordet worden waren. Heinrich Heine nannte Delaroches Suche nach historischer Genauigkeit „Geschichtsschreibung mit Farben“.

Sein Pariser Kollege Eugène Deleacroix hingegen verachtete Delaroches Faktizismus. Er interessierte sich wenig für den geschichtlichen Singular – die Geschichte der Historiker. Vielmehr bereitete es ihm Freude, sich vom Plural der Geschichte, den Geschichten der Schriftsteller inspirieren zu lassen. Motive für seine Gemälde und Radierungen fand er beim Lesen Lord Byrons Manfred, Goethes Faust und Dantes Göttlicher Komödie. Für die Literatur hatte Delacroix große Bewunderung: „Wie sehr ich ein Dichter sein möchte, zumindest mit den Mitteln der Malerei“ schrieb er in sein Tagebuch. Goethe selber zeigte sich von den auch hier zu sehenden Lithographien, die Delacroix zu einigen Szenen des Faust angefertigt hatte, sehr beeindruckt.

Für seine Zurschaustellung von Nacktheit und Gewalt und seinen expressiven Stil wurde Delacroix von seinen Zeitgenossen oftmals kritisiert. Später sah man ihn jedoch als Avantgarde, als Wegbereiter eines neuen Stils. Er hatte zunächst noch den Ruf eines Malers, der „unangenehme Kunststücke macht und nicht die Absicht hat, wahr oder schön zu malen“ (Henry Sloman 1859). Delaroche war die naturalistische, Delacroix eher die impressionistische und sensualistische Wiedergabe wichtig. Er versuchte Stimmungen zu vermitteln. Dies sollte sich nicht nur im Motiv, sondern auch in der Malweise niederschlagen.

Obwohl Delaroche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der wohl bekannteste und erfolgreichste Künstler Europas war, geriet er wenige Jahrzehnte später nahezu in Vergessenheit. Er ist Kunstinteressierten der Gegenwart kaum noch ein Begriff. Viel geläufiger und geachteter ist heute sein damaliger Konkurrent Delacroix. Die Ausstellung lädt ein, nach Gründen der Verschiebung der Wertschätzung zu suchen oder solche auch infrage zu stellen.

Das MdbK leistet mit dieser Aus- und Gegenüberstellung einen kunsthistorisch wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis unter anderem der politischen, institutionellen und technischen Umstände des französischen und europäischen Kunstbetriebs des 19. Jahrhunderts. Den Kuratoren ist es gelungen, mit der Doppelperspektive Delaroche und Delacroix die Inkubationsphase der modernen Kunst mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beispielhaft darzustellen. Zudem veranschaulicht die hier geleistete Gegenüberstellung die in der Kritik und Rezeption oft gefällten Urteile zu Künstlern mit Talent auf der einen Seite und Genies auf der anderen Seite. Auch wird hier die Differenz zwischen dem Geschmack des Publikums und der Kunstkritik anschaulich. Von der deutlich kleineren Ausstellung zu Delaroche im Jahr 2010 in der Londoner National Gallery abgesehen, ist dies die erste moderne Ausstellung, die sich diesem in seiner Zeit überaus bedeutenden Künstler widmet und damit den Versuch einer Rehabilitierung wagt. Über diese historiographische Akzentuierung hinaus schafft es das MdbK jedoch nicht, sich von der Rolle des Gralshüters historischer Kunst zu befreien, was teils den Verpflichtungen gegenüber dem eigenen Bestand, teils den geringen finanziellen Mitteln geschuldet ist, aber auch an einer historischen Ausrichtung der Kuratoren liegen mag.

Der umfängliche Katalog bietet nicht nur eine Fülle an gut recherchierten Essays und Aufsätzen, es ist auch die erste deutschsprachige Publikation, die sich explizit dem Werk von Paul Delaroche widmet (384 Seiten, 39 Euro). Für Studenten und Geringverdiener: Jeden 2. Mittwoch im Monat ist der Eintritt von 12 bis 20 Uhr kostenfrei.


Eugène Delacroix und Paul Delaroche – Geschichte als Sensation

Sonderausstellung

Museum der bildenden Künste Leipzig, 11. Oktober 2015 – 17. Januar 2016


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