Der Wahnsinn und das braune Erbe

Theatergruppe Rimini Protokoll gastiert am Schauspiel Leipzig mit „Adolf Hitler: Mein Kampf“

Fotos: Candy Welz

Gerichtspossen eignen sich, das weiß ich aus eigener Erfahrung, wunderbar für manch absurdes Theaterstück. Wer mit Gerichten zu tun hat, der hat nicht selten den Spott auf seiner Seite. Seit Hannah Arendt wissen wir, dass Gesetze und Gerichte nicht dafür gedacht sind, damit der gemeine Mann sie versteht.

Als ich zum Gastspiel von Rimini Protokoll fuhr, fiel mir Arendt ein, ihre kluge und provokante Abhandlung über die Banalität des Bösen. Provokant sollte dieser Abend im Schauspielhaus auch werden.

Rimini Protokoll wollte dem Mythos um dieses Buch auf den Grund gehen, erklären, warum dieses Buch allgemeinhin als „das Böse“ gesehen wird, so zumindest wurde es angekündigt. Die Kulisse bestand aus angedeuteten Bücherregalen, detailverliebt, mit einer kleinen Drehtür, die an das Versteck von Anne Frank erinnerte, am Bühnenrand ein Fernseher, der einen Ausschnitt aus dem Eichmann Prozess zeigte. So begann ein rasanter Abend, der kaum Zeit für eine Verschnaufpause ließ.

Die Experten des Alltags betraten die Bühne, drei Rechtsanwälte, ein Buchrestaurator, ein blinder Redakteur und ein türkischer Comedian tauchten ein in die absurde Welt und das Ringen um Hitlers Hetzschrift, die er 1925/26 in seiner Festungshaft in Landsberg verfasste und die 12,5 Mio mal gedruckt wurde. Das Stück lebt nicht nur von der Ratlosigkeit seiner Protagonisten, sondern auch von einer Situationskomik, die dazu führten, dass dieses Buch ein wenig von seinem Schrecken verlor. So sprach die erste Rechtsanwältin, Sibylla Flügge von ihrer Faszination für dieses Buch, das sie, fein säuberlich zusammenfasste und ihren Eltern unter den Weihnachtsbaum legte. Na wenn das kein einmaliges Geschenk ist! Und so hören wir weiter von jedem einzelnen die Verbindung zu diesem Buch, das als Tabu gilt, von dem es eine solche Last ist, das es existiert. Und so stellt man auf der Bühne gleich die dazugehörigen Fragen, was man mit diesem Buch am besten macht. Verbrennen? Verbannen? Vergraben?

Nun ja, hier sind wir beim Thema des Abends, der ewig währenden Gerichtsposse um dieses Buch, die jetzt, am Ende des Urheberrechtes wieder so in den Fokus rückt. Es gelang dem Freistaat Bayern nicht, in 70 Jahren, die er die Urheberrechte an dem Buch besaß, die Verbreitung zu verhindern. So werden wir dann auch gleich beglückt mit indonesischen, türkischen und hebräischen Ausgaben des ewig währenden Bestsellers. Und da ein juristisches Gutachten ergab, dass sich tatsächlich am Auslaufen des Urheberrechtes nichts machen lässt, muss sich für den Freistaat doch eine andere Möglichkeit ergeben, Hitlers Schrift endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Leicht gesagt, wenn, ja wenn da nicht der Bundesgerichtshof wäre! Dieser hat in zwei Urteilen, 1979 und 2013 schon für dieses Buch entschieden. Seit 1979 wissen wir, dass Mein Kampf keine Schrift einer verfassungswidrigen Organisation ist, da, so der weise Richterspruch, das Buch vor der BRD entstanden ist und sich so nicht gegen die Verfassung der BRD richten kann. Ein logischer und (formal) richtiger Schluss, der sich auf den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ bezieht. Und dennoch, erinnern wir uns an Arendt, muss Recht nicht vom Volke verstanden werden und so führt diese Feststellung zu Schmunzeln und ungläubigem Staunen bei den Zuschauern. Was dem gemeinen Manne Kopfschütteln bereitet, bereitet dem Juristen Kopfschmerzen und so fällt ihm ein, dass der ehrenwerte BGH das Buch nie auf Volksverhetzung überprüft hat. Dieser §130 StGB könnte die Lösung aller Probleme sein, aber „das kommt darauf an“, hören wir die junge Anwältin Anna Gilsbach sagen. Um den Zuschauer mit den Irrwegen des Gesetzes nicht zu überfordern, bleibt da nur die ironische Selbsterkenntnis von Gilsbach, die sich an ihr Gesetzbuch klammert: „Deswegen studiert man so lange“. Nun sind alle ratlos, Juristen und Zuschauer.

Diese Fachsimpeleien finden vor veränderter Kulisse statt, die Bücherregale wurden gedreht, eine farblose, graue Rückansicht dient als Zusammenkunft der Protagonisten, als Wohnzimmer und als Projektionsfläche. Und so taucht der Zuschauer dann auch auszugsweise ein, in die Welt von Mein Kampf. Besonders heraus stach der israelisch- deutsche Rechtsanwalt Alon Kraus. Wenn das Stück drohte, langatmig zu werden, sorgte Alon Kraus für den nötigen Pepp. Er und Vulkan T error führten angenehm frisch durch den Abend. Vulkan T error sorgte zudem für die musikalische Untermalung.

Und wo man über Recht diskutiert, darf die Moral und die Gewissensentscheidung nicht fehlen. Und so kommt auch der Zuschauer ins Grübeln, wenn die Protagonisten auf der Bühne entscheiden, wie man mit „Mein Kampf“ umgehen kann: „Finden Sie, das es im Geschichtsunterricht gelesen werden sollte?“ Gehen sie nach rechts für ja und nach links für nein. „Sollte das Buch kostenlos verteilt werden?“ Rechts für ja, links für nein.

Unterbrochen wird dieses Spiel, das auch dem Publikum die eigenen Berührungsängste aufzeigt, durch die Einblendung eines Sprachwissenschaftlers, der das Fazit zieht, das nichts aus dem Buch wirklich neu ist, auch die Sprache nicht. Und da Klemperers LTI schon ein Standardwerk meines Studiums war, so wird diese Sprache des Verführers in der kommentierten Ausgabe beschrieben als „melodisch, symphonisch, im 3. Reich musikalisch untermalt mit den Klängen Wagners“. Und während einem Begriffe wie „Lügenpresse“ und „Schurken SPD“ beklemmend bekannt vorkommen, zieht Flügge dann auch den Schluss, dass Mein Kampf kein Buch ist, das verführt, aber das eindringlich zeigt, wie verführt wird. Und während der Freistaat Bayern diese Lehrfunktion des Buches noch nicht erkannt hat, machen die Protagonisten einen Schwenk nach Braunau. Wenn über die Propagandamaschine sofort der Gedanke auf Legida kommt, so weiß der Zuschauer jetzt, das Hitlers Schrift in den Antiquaren der Stadt nicht mehr zu bekommen ist, durch die Werbekampagne die der Freistaat Bayern unfreiwillig geschaltet hat, oder weil man es einfach nicht verkaufen, ist doch Leipzig die Stadt von Liebknecht, Rosa Luxemburg und der Arbeiterpartei. Und doch spielt genau hier diese Sprache der Verführer wieder eine so enorme Rolle. Und so spielt auch wieder Eichmann eine Rolle, ein Paradebeispiel der Verwaltungssprache des „Dritten Reichs“, sein Plädoyer wird eingeblendet, die Anklage von sechs Millionen jüdischen Opfern.

Rimini Protokoll ist es gelungen, ein wenig die Scheu vor diesem Buch zu nehmen und sich mit Hilfe des Humors von Ängsten zu befreien. Der Mythos der Kollektivschuld, der auch besonders mit diesem Buch verbunden ist, konnte und wollte Rimini Protokoll nicht lösen, das bedarf es auch nicht. Es war ein Abend, der das Ringen um das braune Erbe zeigt. Das schwierige Thema wurde gekonnt umgesetzt, ohne dabei den Respekt vor den Opfern zu verlieren. Uraufgeführt wurde das Stück in Hitlers Lieblingsstadt Weimar. Diese Stadt Goethes, die heute beides ist: Humanität und Bestialität. Es ist die Ratlosigkeit dieser beiden Gegensätze, mit denen man so ringt und die Gerichte seit 70 Jahren beschäftigen. Und während das Stück fragt, an was Zschäpe wohl demnächst schreibt, bleibt ironischerweise nur zu sagen, das die Gerichtsposse um Hitlers Hetzschrift ihren Anfang hatte aus einem ganz banalen Grund: Hitler schrieb, weil er Geld brauchte, für seine Anwälte.

Adolf Hitler: Mein Kampf Band 1 & 2

Rimini Protokoll

Konzept: Helgard Haug, Daniel Wetzel

Dramaturgie & Recherche: Sebastian Brünger

Bühne & Video: Marc Jungreithmeier

Interaction Design: Grit Schuster

Musik: Volkan T

Ton: Peter Breitenbach

Regie-Assistenz: Meret Kinderlen

Technische Koordination & Licht: Andreas Mihan

Regie-Hospitanz: Linn Günther

Company Management: Heidrun Schlegel

Mit: Sibylla Flügge, Anna Gilsbach, Matthias Hageböck, Alon Kraus, Christian Spremberg, Volkan Türeli

Schauspiel Leipzig, 17. Februar 2016


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.