Endlich September!

Der Sommer geht, die neue Gewandhaus-Saison kommt – zwar ohne Open Air auf dem Augustusplatz und ohne amtierenden Gewandhauskapellmeister, dafür aber mit Ehrendirigent Herbert Blomstedt und einem Programm aus Beethoven, Beethoven und Beethoven

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Herbert Blomstedt (Foto: J. M. Pietsch)

Dass Beethovens „Leonoren-Ouvertüre II“, eigentlich chronologisch die erste, nur selten im Konzert erklingt, hat – ehrlich gesagt – gute Gründe. Im Vergleich zur formal geschlosseneren „Leonore III“ kann diese zerrissene, beinahe unstrukturierte Fassung musikdramaturgisch keinen Blumentopf gewinnen – so zupackend dramatisch Blomstedt das Werk auch angehen mag. Weder der samtene Streicherklang in der Einleitung, noch das wunderbare Flötensolo, weder die grandiosen orchestralen Crescendi, noch die makellos gespielte Ferntrompete (hier allerdings zu nah postiert) können mich von der Qualität der „Leonore II“ überzeugen. Was bleibt, ist die hervorragend musizierte Aufführung eines eigentümlichen Werks. Daran ändert auch Blomstedts energisches Plädoyer nichts.

Derlei Überzeugungsarbeit hat Beethovens 5. Klavierkonzert op. 73 selbstredend nicht nötig. Blomstedt hat selbst einmal darauf hingewiesen, dass das Konzert in der heroischen Tonart Es-Dur stehe, und entsprechend kämpferisch geht er den Orchesterpart an. Leider ist er sich darin mit Sir András Schiff, dem Solisten des Abends, offenbar nicht so ganz einig. Schiff sucht – und findet – eher die Feinheiten inmitten der großen Gesten, was durch den warmen, feinen Klang des Bösendorfer-Flügels noch verstärkt wird. Die individuelle, um nicht zu sagen: bedeutungsschwere Ausgestaltung jeder noch so kurzen musikalischen Phrase hat jedoch ihren Preis: Was Blomstedt dem Konzert an Energie zuführt, zieht Schiff oftmals wieder heraus. Dies gilt vor allem für den Kopfsatz, der so insgesamt zur recht zähen Angelegenheit wird. Das Zusammenspiel zwischen Orchester und Solist könnte auch präziser sein. Während Blomstedt sich redliche Mühe gibt und sehr aufmerksam auf den Solisten lauscht, kreist András Schiff teils eher um sich selbst. Was man von Solo-Klavierabenden kennt und an ihnen schätzt, jene kontemplative, fast meditiative Selbstbezogenheit, wird im Zusammenspiel mit dem Orchester mitunter zum Problem, zumal in einem „heroischen“ Klavierkonzert. Im ausdrucksstarken Mittelsatz finden die Beteiligten besser zusammen; zudem bietet er Schiff reichlich Gelegenheit, seine vollendete Anschlagskultur und sein unübertroffenes Gespür für feinste klanglich Nuancen zu zelebrieren. Der Finalsatz gerät deutlich runder als der erste, was nicht zuletzt daran liegt, dass Klavierphilosoph Schiff hier auch einmal den Virtuosen zum Zuge kommen lässt. Doch auch hier wartet er immer wieder mit witzigen Überrschungen auf. Herrlich beispielsweise die Stelle, wenn Schiff die springende Begleitung im Bass so trocken spielt, dass man eher an Bach als an Beethoven denkt. Apropos Bach: Als Zugabe spielt Schiff die letzten Sätze aus Bachs Partita B-Dur BWV 825 – der musikalische Leipzig-Gruß eines der großen Bach-Interpreten unserer Zeit.

Nach der Pause steht Beethovens „Siebte“ A-Dur op. 92 auf dem Programm. Blomstedts Ansatz ist überaus kraftvoll und scheut auch vor gestalterischen Extremen nicht zurück. Dabei lässt die langsame Einleitung noch etwas an Tiefe vermissen; zu geradlinig wird der gewundene Weg durch tonal changierende Gefilde beschritten, zu wenig geheimnisvoll wirkt die harmonische Verschleierungstaktik im Geiste Haydns. Wenn der eigentliche Hauptsatz beginnt, ist dies jedoch schnell vergessen: Mit welcher unerhörten Energie Blomstedt unter vollem Körpereinsatz im Orchester wühlt, Klänge mit den Händen regelrecht abreißt und mit bohrend vorgestrecktem Zeigefinger die Einsätze anzeigt, lässt völlig vergessen, dass der Dirigent im nächsten Jahr seinen 90. Geburtstag feiern wird. Fast noch mehr als der kraftstrotzende erste Satz beeindruckt heute Abend indes der zweite: Noch nie habe ich die dynamische Steigerung, den gestaffelten klanglichen Aufbau aus dem Nichts zum Tutti dermaßen überzeugend hören dürfen. Man nehme noch mustergültige Holzbläser-Soli hinzu und fertig ist die musikalische Sternstunde. Im 3. Satz erlaubt sich Blomstedt so manchen Spaß, so z. B. die genüsslich gedehnte Überleitung vom Trio zum Scherzo-Teil. Im Finale sind schließlich alle Kräfte entfesselt. Das Orchester spielt knackig kurz und rhythmisch präzise, angeheizt von einem sichtlich gut gelaunten Herbert Blomstedt, der als Ehrendirigent sein ehemaliges Orchester selbstverständlich bestens kennt und weiß, was er ihm abverlangen kann: alles. Dies ist mitreißend und macht Spaß; leider kippt mitunter der Tuttiklang aus dem Gleichgewicht: So sind die Trompeten z. B. mitunter zu laut und lassen ihre nicht sonderlich aufregenden Quarten etwas zu selbstbewusst in den Saal schallen Noch bevor die krachenden Schlussakkorde verklungen sind, brandet immenser Jubel auf, der nach und nach das Publikum von den Sitzen reißt. Und auch ich kann nur dem diesjährigen Plakatslogan des Gewandhauses zustimmen: Das klingt gut.

Eröffnungskonzert der 236. Gewandhaus-Saison

Gewandhausorchester, Herbert Blomstedt

Solist: András Schiff, Klavier

3. September 2016, Gewandhaus, Großer Saal


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