Am lebendigen Leibe seziert

DOK Leipzig: Der Leipziger Maler Neo Rauch lässt sich im gleichnamigen Film über die Schulter gucken. Doch Regisseurin Nicola Graef vertut die Chance mit despektierlicher Fragerei

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Maler Neo Rauch im Dokfilm „Neo Rauch – Gefährten und Begleiter“. (Fotos: Nicola Graef)

Neo Rauch ist einer der berühmtesten Künstler Leipzigs, wenn nicht sogar der berühmteste. Zumindest hat die Stadt derzeit fast niemanden prestigekräftigeres zu bieten. Wenn sein Name fällt, denkt der Leipziger an die Baumwollspinnerei, Leipziger Schule und traumartige Wandgemälde, die schon mal ganze Räume für sich einnehmen können. Entsprechend voll besetzt zeigte sich dann auch der größte Kinosaal der Stadt im Cinestar zur Weltpremiere auf dem DOK Leipzig.

Ruhm bedeutet auch immer, dass der Künstler als Person nun wie öffentliches Eigentum behandelt wird. Der Film Neo Rauch von Nicola Graef führt dies plastisch vor. Bei dem Versuch, sich dem ja noch lebenden Maler und Phänomen Neo Rauch zu nähern, vertraut die Regisseurin auf drei zentrale Ansatzpunkte: Aufnahmen in Rauchs Atelier beim Malen, das Begleiten von Ausstellungseröffnungen von New York bis Zwickau und den Besuch von Sammlern, die ihre erstandenen Werke stolz der Kamera präsentieren.

So weit, so gut. Was dem Film aber fehlt, ist eine klare dramaturgische Linie. Was will uns die Regisseurin eigentlich erzählen? Oder reicht es, den Künstler im Bild einzufangen und ihm obendrein noch indiskrete Fragen zu stellen? Während Neo Rauch seine Bilder malt, fragt ihn Graef alle möglichen Dinge und Undinge. Schon allein Fragen aus dem Off sind als formale Technik eine schwierige Herangehensweise im künstlerischen Dokumentarfilm. Aber damit haben wir es hier offensichtlich nicht zu tun. Die Fragen von Graef stören nicht nur formal den Film, sie lassen auch eine gehörige Portion nicht vorhandenen Respekt vor der Person Neo Rauch erahnen. Es geht der Filmemacherin scheinbar nicht um ein sensibles Künstlerporträt, nein, wie bei billigem Boulevard will sie an seine Seele ran. Überraschend ist dabei, wie bereitwillig Rauch dies am Ende zulässt. Mit ruhigen Sätzen, die fast wirken, als wären sie von einem Dichter ersonnen, reagiert er auf die stupiden Annäherungen.

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Im Titelzusatz (Gefährten und Begleiter) behauptet der Film auch über Neo Rauchs Gefährten und Begleiter Auskunft zu geben. Doch dies scheitert, weil sich Graef eigentlich weder für seine Frau Rosa noch für Judy Lybke interessiert. Der Galerist darf kurz einen Schwank aus der Jugend zum Besten geben und damit seine lange Freundschaft mit dem Künstler verbürgen, aber zu mehr reicht es dann nicht.

Etwas gelungener gerät am Ende eigentlich nur die Sicht der Sammler. Es ist ein kleiner Versuch, zu erklären, warum Neo Rauch eigentlich so berühmt ist. Amerikaner, Italiener und Koreaner kommen hier zu Wort, verdeutlichen damit gleichermaßen die Internationalität und geben ihre ganz eigene Sicht auf das Werk zu Protokoll. Spannend ist hierbei, wie das Werk als typisch deutsche Exotenware angesehen wird. Die Amerikaner sehen in den Bildern gleichsam die Schrecken des Kommunismus veranschaulicht, eine Zeit, in der niemand was zu lachen hatte. Für den Italiener sind die Bilder wiederum erfreuliche Begleiter seiner dystopischen Träume. Er hat düstere Arbeiten in seinem Schlafzimmer gruppiert. Jeder hat einen anderen Zugang.

Gute Kunst ist offen für viele Interpretationsansätze, und Rauchs gemalte Szenerien bieten in ihrer Vielschichtigkeit dem Betrachter ein Tor in eine andere Welt. Qualitäten, die der Film sicherlich noch stärker hätte herausarbeiten können, anstatt die Sezierung des Menschen Neo Rauch zu sehr in den Vordergrund zu rücken.

Neo Rauch – Gefährten und Begleiter

Deutschland 2016; 105 Minuten

Regie: Nicola Graef

DOK Leipzig 2016, Deutscher Wettbewerb

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