Basketbälle statt Steine

DOK Leipzig: Mit „Bağlar“ gelingt Berke Baş und Melis Birder eine kraftvolle und einfühlsame Geschichte der Emanzipation durch den Sport

dok_baglar_587.jpg
Die Basketballspieler aus dem kurdischen Diyarbakır haben ein Ziel: den Aufstieg in die zweite türkische Bundesliga. (Foto: Berke Baş/Melis Birder)

Das Spiel beginnt. Schuhe quietschen auf dem gummierten Boden einer Basketballhalle. Ein beleibter Trainer mit akkuratem Haarschnitt gibt Befehle, brüllt fast. Volle Konzentration bei den Spielern. Aus unsicherer Entfernung und in hohem Bogen landet der Ball im Korb. Die Mannschaft von Gökhan Yıldırım aus dem kurdischen Diyarbakır hat ein klares Ziel: mit fairer, guter Leistung in die zweite türkische Bundesliga aufsteigen. Schnitt. Lärm, Schreie. Straßenschlacht auf einem staubigen Platz, von Hochhäusern umrahmt. Wütende Menschen mit Tüchern vor dem Gesicht schmeißen Steine in Richtung eines Wasserwerfers und auf gut gerüstete Polizisten. Noch mal das Basketballfeld, noch mal die Straßenschlacht. Von Anfang an ist klar, die beiden Filmemacherinnen Berke Baş und Melis Birder erzählen in Bağlar eine Parabel auf die Kraft des Friedlichen in kriegerischen Zeiten, Aggression verwandelt in sportliche Höchstleistung, David gegen Goliath. Doch so einfach ist es dann doch nicht.

Baş und Birder sind dicht dran an ihren Akteuren, vor allem am Trainer. Sie fangen die Emotionalität des Spiels ein, die Hoffnung, die Gökhan Yıldırım mit aller Kraft auf dem Feld bündelt und verteidigt. Auch gegen besser zahlende Klubs. Er setzt auf Heimatverbundenheit, Vorbildfunktion und Zusammenhalt, auf das Herz, wie er sagt. Viele seines Teams stammen aus dem Stadtviertel Bağlar und sind mit dem Sport Elend und Perspektivlosigkeit entkommen. In der Mannschaft finden sie einen Familienersatz. Doch der Coach kann nur hoffen, dass mint-weiß gekleidete Manager wie der des finanzkräftigen Gegners aus Anatolien ihm nicht alle Spieler abwerben. Dies versucht er, seinem Sportdirektor bei Gehaltsverhandlungen für die Spieler klarzumachen, während der Krach tieffliegender Düsenjets das Gespräch zerreißt.

Um zu Turnieren zu kommen, muss der Mannschaftsbus durch feindliches Gebiet fahren. Kontrollen können zu provokanten Schikanen werden. Bei einem Angriff des türkischen Militärs wurden vor Kurzem 36 kurdische Schmuggler getötet. Die Wut mancher Spieler ist kaum mehr beherrschbar. Rangeleien während eines Spiels gegen die türkischen Anatolen drohen auszuarten. Auch weil das hart erarbeitete Selbstbewusstsein manchmal nicht vorhanden ist. „Ringt sie nieder“, feuert der Trainer sie an, „das hier ist Krieg“. An den Medien gehen der Erfolg dieser Mannschaft und deren Geschichte natürlich nicht ungesehen vorüber. Jedoch wird dem Team und seinem Trainer die Berühmtheit schließlich zum Verhängnis.

Zwischen eigenem Wunsch und ernüchternder Wirklichkeit montieren die beiden Filmemacherinnen die Ereignisse um und auf dem Basketballfeld mit den politischen rund um Diyarbakır ineinander. Entstanden ist eine einfühlsame und zugleich kraftvolle Geschichte der Emanzipation, hin zu fairem Kräftemessen auf Augenhöhe. Der Fokus liegt bei den sportlichen Geschehnissen. Den politischen Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdisch geprägten Regionen mehr zu beleuchten, hätte dem Film aber sicher nicht geschadet. Im Rückblick mag Bağlar wie ein Traum erscheinen angesichts der sich überschlagenden, besorgniserregenden Nachrichten aus der Türkei und den kurdischen Gebieten.

Bağlar

Türkei 2016, 81 Minuten

Regie: Berke Baş und Melis Birder

DOK Leipzig 2016, Länderfokus Türkei

Weitere Vorführungstermine, Tickets und Katalogtext

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.