Dieser Blick

22. Französische Filmtage: Kristen Stewart trägt Olivier Assayas neuestes Werk „Personal Shopper“ mühelos auf ihren Schultern

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Hat ihr Romanzen-Image abgelegt: Kristen Stewart, hier als Maureen in „Personal Shopper“. (Foto: Verleih)

Zu Beginn kann zunächst eins festgehalten werden: Kristen Stewart hat es irgendwie geschafft, sich als ernstzunehmende Schauspielerin zu etablieren. Das ist insofern überraschend, da sie seit 2008 dem Kinopublikum vornehmlich als Bella Swan aus der Verfilmung von Stephenie Meyers schnulziger Vampir-Romanze Twilight bekannt war. Das Mega-Franchise (fünf Filme in fünf Jahren) hatte seinerzeit weltweit immerhin über 3,3 Milliarden US-Dollar eingespielt. Viele Schauspieler können sich von solcherlei nicht wirklich erholen, werden ihr Lebtag nur auf diese Rolle reduziert oder bekommen erst gar keine anderen Angebote. Nicht so bei Miss Stewart. In Cannes konnte sie dieses Jahr gleich zweimal den roten Teppich entlang flanieren. Sie ist bei großen Namen mit dabei: Woody Allen (Café Society), Ang Lee (Billy Lynn’s Long Halftime Walk) und eben dem Franzosen Olivier Assayas, der ihr die tragende Rolle in Personal Shopper gegeben hat.

Assayas ist zwar Franzose und fühlt sich der französischen Regielegende Robert Bresson verbunden, aber seine Filme versprühen kaum französisches Flair. Meist sind sie international aufgestellt. Das gilt für die Schauspieler, die Drehorte und die Themen. Personal Shopper spielt zwar in Paris, doch Englisch ist die vorherrschende Sprache, was nur dann enttäuschend ist, wenn man den Film im Rahmen der Französischen Filmtage sieht. Denn gutes Arthaus/Autoren-Kino kennt natürlich keine nationalen und sprachlichen Grenzen. Und Assayas liefert mit Personal Shopper ein spannendes, wenn auch nicht ganz kohärentes Werk ab.

Maureen (Kristen Stewart) verbringt eine Nacht in einem großen alten leerstehenden Haus in Paris, um mit Lewis Kontakt aufzunehmen. Denn ihr Zwillingsbruder ist mit nur 27 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Auch sie hat denselben Herzfehler und wartet nun, dass er aus dem Jenseits mit ihr spricht. Ansonsten verdingt sich Maureen als persönliche Einkäuferin für das Fashion-Girl Kyra (Nora von Waldstätten). Wir begleiten sie zu Boutiquen, zu Cartier und teuren Schuhläden. So geht es eine Weile: Einkaufen, mit dem Roller durch Paris fahren, der Versuchung widerstehen, die schicken Kleider selbst anzuziehen, nachts im Gruselhaus Medium spielen. In der Mitte des Films etabliert Regisseur Assayas noch Thriller-Elemente, als jemand Unbekanntes Maureen plötzlich unheimliche Nachrichten aufs Telefon schickt, sie scheinbar verfolgt und sie zu Dingen drängt, die sie vielleicht schon immer mal machen wollte, aber sich nicht getraut hat.

Das wirkt zunächst extrem inkohärent. Ist der Film nun ein Horrorfilm, eine Charakterstudie oder ein Thriller? Natürlich ist er alles in einem und gleichzeitig noch viel mehr. Der unglaubliche Sog, den der Film entwickelt, lässt über so manche Ungereimtheit im Drehbuch hinwegsehen. Daran trägt Kristen Stewart einen maßgeblichen Anteil. Sie ist in fast jeder Einstellung zu sehen und so wie der Regisseur kann man die Augen nicht von ihr nehmen, ihre Präsenz ist verzaubernd. Dabei hat man oft das Gefühl, dass sie sich eigentlich einfach nur selbst spielt. In Schlabberpullovern und Turnschuhen setzt sie diesen „ich hab eigentlich keine Lust das hier zu machen“-Blick auf, nur um im nächsten Moment in High Heels und Paillettenkleid einen so abgründigen Blick in den Spiegel zu werfen, dass es einem heiß und kalt wird. Gleichzeitig strahlt sie aber auch eine Verletzlichkeit aus, die vor allem in Details sichtbar wird, einer Geste, einem Augenaufschlag.

Am Ende klärt sich vieles auf und vieles Mystische wird entzaubert. Und dann wird klar, welche Geschichte der Regisseur hier wirklich erzählen wollte. Denn lässt man all dieses Drumherum mal weg und konzentriert sich auf das eigentliche Thema des Films, dann ist festzuhalten, dass Olivier Assayas mit Personal Shopper einen ganz ungewöhnlichen Film über den Umgang mit Trauer nach dem Verlust eines geliebten Menschen gemacht hat. Das ist am Ende überraschend, aber nicht weniger beeindruckend. Er hat den Regiepreis in Cannes verdient!

Der Film lief im Rahmen der 22. Französischen Filmtage, regulärer Starttermin in Deutschland ist der 19. Januar 2017.

Personal Shopper

Frankreich/Deutschland 2016, 105 Minuten

Regie: Olivier Assayas; Darsteller: Kristen Stewart, Lars Eidinger, Nora von Waldstätten, Sigrid Bouaziz

Kinostart: 19. Januar 2017


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