Klassenfahrt der Gutmeinenden

Die Uraufführung von Laura Naumanns Stück „Grand Prix de la Vision“ ist buntes, bemühtes Konsenstheater

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Mitten in der alten Road-Movie-Story: Die Schauspielerinnen Runa Pernoda Schaefer und Anne Cathrin Buhtz (Foto: Rolf Arnold)

Instagram, Twitter, Smoothie – obwohl Jahrgang 1989 und damit selbst noch recht jung, scheint Laura Naumann in ihrem neuen Stück Grand Prix de la Vision krampfhaft um Jugendlichkeit und Hippness bemüht. Das beschränkt sich nicht auf Schlagwörter und eine immer wieder ins Englische wechselnde Umgangssprache, sondern zeigt sich auch in den Themen, die kaum einen aktuellen Diskurs auslassen: Es geht um Geflüchtete, um Sexismus und Gender, um Streitkultur im Internet, um Kampfdrohnen etc. Bei aller Aktualität gibt es jedoch ein Element, das erstaunlich traditionell bleibt – die Handlung.

Es ist die alte Road-Movie-Story von einer zusammen gewürfelten Gruppe, die sich zerstreitet und wieder zusammenrauft bis sie in letzter Sekunde doch noch ihr Ziel erreicht. Die Charaktere sind denkbar schrill, ebenso die Details des Geschichte; dennoch macht sich während der abschweifenden Monologe – die im besten Fall kreative Sprachkomik, im schlechtesten Fall durchschnittlicher Poetry-Slam sind – immer wieder das Gefühl breit, dass die Handlung nur ein Vorwand ist, um die auseinanderdriftenden Teile irgendwie unter einen Hut zu bekommen. An einer Stelle scheint sich das Stück unbewusst selbst auf die Schliche zu kommen: Shari Asha Crosson reflektiert als Anna die undurchschaubare Komplexität einer restlos vernetzten Welt, gegenüber der jeder Versuch, sie auf eine einfache Formel zu bringen, scheitern muss. Quod erat demonstrandum.

Durch dieses Festhalten an der Handlung steht sich das Stück letztlich selbst im Weg. Dass über die Regie bisher noch nichts gesagt wurde, ist nämlich kein Zufall: Alexandra Wilke leistet saubere Arbeit, Kostüme, Bühnenbild und Musik sind ebenfalls gut gewählt – aber weil der Text schon so viel vom Geschehen festlegt, bleibt auch kaum noch etwas zu tun. So wird jede weitere Inszenierung, wenn sie dem Text nicht Gewalt antun will, der Uraufführung ziemlich ähnlich sehen.

Auch inhaltlich verschenkt der Abend Potential und bleibt trotz brisanter Themen erstaunlich harmlos, was sich einer gut gemeinten, aber fehl platzierten political correctness verdankt. Es wird sich im durchschnittlichen Schauspiel-Publikum wohl kaum jemand finden, der nicht den Großteil der vertretenen Meinungen abnickt, aber eben deswegen ist das Leipziger Theater auch nicht der richtige Ort für diese Diskurse – #filterbubble.

Am stärksten ist der Text, wenn er bei sich selbst bleibt, wenn er dem Spiel mit den Worten und der Lust am Absurden freien Lauf lässt und sich nicht an das Vorantreiben der Handlung oder das Erklären der fiktiven Welt verschwendet. Dann können auch die DarstellerInnen zeigen, was sie können. Vor allem Runa Pernoda Schaefer als die spätpubertierende, an Liebeskummer leidende Skart, und Brian Völkner als Halbgar – ein 19-jähriger Dorfjunge, der einfach nur will, dass ihm mal jemand zuhört – sorgen hier für Highlights. Ansonsten schwankt der Abend auf etwas anstrengende Weise zwischen Aktualität und bekannten Mustern, zwischen Provokation und harmonisierender Korrektheit.

Grand Prix de la Vision (UA)

Text: Laura Naumann

Regie: Alexandra Wilke

Bühne: Hugo Gretler

Kostüme: Agathe MacQueen

Dramaturgie: Christin Ihle

Licht: Jörn Langkabel

Mit: Anne Cathrin Buhtz, Shari Asha Crosson, Runa Pernoda Schaefer, Brian Völkner

Premiere: 25. November 2016, Schauspiel Leipzig – Diskothek

Weitere Aufführungen: 7., 11. & 17. Dezember 2016; 19. & 28. Januar 2017

Website des Schauspiels Leipzig

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