Das Schweigen der Steppe

4. China-Filmfestival Leipzig: Sonthar Gyas „Gtsngbo/River“ vereint die Themen Kindheit, Einsamkeit und Tod ― gedreht vor der eindrucksvollen Weite Tibets

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Ein Konflikt in der Familie der kleinen Yangchan steht im Zentrum von „Gtsngbo/River“. (Foto: Konfuzius-Institut Leipzig)

Weite ockerfarbene Steppen, weißgraue Berge in der Ferne, durchzogen von Schluchtenlinien. Darüber ein schier unendlicher Himmel. Manchmal beherrscht von wildem Schneetreiben, manchmal strahlend blau, die Sonne fast wärmend. Tibet, das Dach der Welt. Hier lebt die kleine Yangchan mit ihren Eltern. Die meiste Zeit hüten sie Schafe. Ihr Zuhause ist ein zugiges Zelt aus Fellen. Der Vater raucht und hat Wunden vom Sturz im Suff im Gesicht. Seine Traurigkeit und Leere füllen die Leinwand. Yangchans Mutter weint und sie sieht es. Vielleicht war der Vater nicht immer so. Auf dem Weg zum Großvater, der als Mönch in einer Einsiedlerhöhle lebt, versenkt der Vater das Motorrad in einem Wasserloch. In einen langen Fellmantel gehüllt, traditionell mit einem farbigen Tuch um die Hüften, trägt er darunter modisch geschnittene Jeans. Sinnbildlich für sein von der Moderne gestreiftes Leben, das doch der Tradition verhaftet bleibt. Die Zigaretten und ein magischer Anhänger dürfen nicht nass werden. Er legt sie seiner Tochter in die Hände, die reglos dasteht. Mit der Hilfe eines Fremden gelingt es ihm, das Motorrad herauszuziehen. Den Großvater, den Yangchan noch nie gesehen hat, besucht sie allein.

Die Beziehungen in Sonthar Gyas Film Gtsngbo/River sind gestört. Die Eltern schweigen sich an, von dem Geschwisterchen, das in ihrer Mutter, die etwas deutlicher hätte gezeichnet sein können, heranwächst, will Yangchan nichts wissen. Ihre Liebe gilt einem verletzten Lamm, das ein Wolf beinahe gerissen hätte. Sie päppelt es auf, bis der Vater es ihr wegnimmt, um es zur Herde zurückzubringen. Ein Leben ohne Ablenkung, nur das wechselnde Wetter, das weite Land und die Arbeit mit den Tieren. Immer wieder eingefangen in großen, traurigen Gesichtern und mit stimmungsvollen musikalischen Akzenten hinterlegt. Überraschend kulturübergreifend sind manche Metaphern wie der Blick des Vaters in einen zerbrochenen Rückspiegel als Sinnbild für seine zerbrochene Seele. Eines Tages liegt der Großvater in der Fremde der Stadt im Krankenhaus und die Geschichte wendet sich.

Gtsngbo/River ist ein Film über Tibets Natur, über Kindheit, Trauer, Tod und Einsamkeit, die die kleine Yangchan wuchtig zu fühlen bekommt. Doch gibt es auch Freude und einen Hauch von Versöhnung. Langsam und unmittelbar in starken Bildern erzählt, vor der Weite der tibetischen Steppe.

Gtsngbo/River

China 2015, 94 Minuten

Regie: Sonthar Gya, Darsteller: Yangchan Lhamo, Regzin Drolma, Guru Tsedan

Der Film lief beim 4. China-Filmfestival Leipzig in der Cinématèque Leipzig.


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