Bartóks Energiewellen

Die Berliner Philharmoniker spielten eine Neukomposition von HK Gruber und „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók

HK Gruber ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musikszene. Seit den Sechzigerjahren fegt das Multitalent aus Wien durch die Musikwelt. Bis 1997 war er Solobassist des Radio Symphonieorchesters Wien. Ende November 1978 hat Simon Rattle Frankenstein! in Liverpool zur Uraufführung gebracht, seitdem ist HK Gruber auch erfolgreich als Komponist unterwegs. Sein Stil ist unverwechselbar, in einer erfrischend undogmatischen Art verbindet er so unterschiedliche Einflüsse wie Berg, Strawinsky, Kabarettsongs und Popmusik, aber richtig gruberts erst,wenn er Jazzeinflüsse zulässt. Kurt Weill ist für ihn eine Schlüsselfigur, seit er 1963 eine Schallplatte mit Aufnahmen des Komponisten in Wien aufstöberte. Kurt Weill war und ist für HK Gruber die Kompassnadel gegen „die dogmatischen Strömungen Donaueschingens und Darmstadts“. Mit emphatischem Tonfall wirbt er für „Respekt vor der Einfachheit“ und bezeichnet Weills Schaffen als „einfach aber nicht banal“ (HK Gruber in einem Gesprächskonzert beim Kurt Weill Fest 2008 in Dessau).

Sein Konzert für Klavier und Orchester in der Berliner Philharmonie beginnt sehr narrativ. Nachdem die Aktionen zunehmend komplexer geworden sind, wird die Musik abstrakter, melodische Linien lösen sich auf. Emanuel Ax am Klavier hat vor der Uraufführung in New York freimütig gestanden, dass er die ständigen Taktwechsel und unregelmäßigen Metren der von Jazzelementen durchsetzten Struktur nicht gewöhnt ist. Durch diese Komplexität geht zumindest heute Abend die Leichtigkeit etwas verloren. Auch die anderen Musiker kleben an ihren Noten, um die Komplexität zu bewältigen, da bleibt nicht viel Zeit für einen Blick zu Simon Rattle – der Zusammenhalt des Stückes scheint sich aufzulösen. Aber egal, am Ende stürmt HK Gruber die Bühne, herzt und drückt alle Beteiligen. Das Publikum geht erwartungsfroh in die Pause.

Der Plot der Oper Herzog Blaubarts Burg – die im zweiten Teil des Abends erklingt – entstammt einer Fabel aus dem 17. Jahrhundert von Charles Perrault. Eine junge Frau ist einem Mann verfallen oder wird vom ihm verführt – man weiß das nicht so genau. Am Ende wird die Frau in eine geheimnisvolle Burg gelockt. Die Geheimnisse in der Burg sind gefährlich, nicht zu ertragen. Die Frau möchte aber alle Geheimnisse entdecken und öffnet, die Bedenken Blaubarts ignorierend, die Folterkammer, die Waffenkammer, die Schatzkammer, den Zaubergarten und eine als weites Feld bezeichnete Kammer, entdeckt den Tränensee und dringt letztendlich in die Kammer mit den toten früheren geliebten Frauen von Blaubart ein. Am Ende erträgt sie das ganze Wissen nicht und stirbt. Die Figur des Blaubarts schwirrt seit Perraults Novelle intensiv durch die Literatur-, Musik- und Filmgeschichte, zu faszinierend ist die Geschichte vom bösen und hässlichen Blaubart und einer jungen Schönen. Im Libretto von Bela Balázs wird die Geschichte zwischen Herzog Blaubart und Judith zu einer Beziehungstragödie. Der Plot spielt sich eigentlich nur in den Köpfen der beiden Darsteller ab. Die ursprünglichen Kammern bilden die Erinnerungen und das Gewissen von Blaubart ab, Judith dringt in alles ein und geht am Ende wie in der Novelle aus dem 17. Jahrhundert unter und stirbt.

Ein toller Opernstoff, nur leider nicht so oft aufgeführt, da man zu dem etwa einstündigen Einakter immer noch ein zweites (kurzes) Stück finden muss. Den Stoff nutzen die Regisseure normalerweise für bildgewaltige Inszenierungen, was leicht von der Musik ablenken kann. Heute dagegen kann man sich voll auf die Musik konzentrieren. Rinat Shaham als Julia und Gábor Bretz als Blaubart können sich hundertprozentig in die Musik hineinlegen. Toll ist das! Und die Berliner Philharmoniker stehen den Solisten in nichts nach. Gewaltige Orchestertuttis strahlen in den Saal, kontrastiert von lyrischen Solostellen der Bläser. Solisten und Orchester scheinen sich gegenseitig einzuheizen. Herrlich, welche Energie hier heute freigesetzt wird! Ein tolles Programm und wirklich tolle Interpreten!

Konzert für Klavier und Orchester

Von HK Gruber
Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker gemeinsam mit New York Philharmonic, Stockholm Philharmonic und Tonhalle Orchester Zürich
Deutsche Erstaufführung

Herzog Blaubarts Burg Sz 48 konzertante Aufführung

Von Béla Bartók

Mit: Berliner Philharmoniker; Sir Simon Rattle Dirigent; Emanuel Ax Klavier; Rinat Shaham Mezzosopran; Gábor Bretz Bass; Ulrich Noethen Sprecher

Berliner Philharmonie, 17. März 2017


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