Eine Ausstellung in der HTWK widmet sich der farblichen Ambivalenz
Rot begann als eine Kampffarbe, als eine Warnung der Natur an Säugetiere und Menschen. Seither schützen sich Eiben, Erdbeerfrösche und Fliegenpilze mit ihrer Hilfe vor Fressfeinden. Auch die Jakobiner, Sozialisten und Kommunisten nutzten die starke Signalwirkung, um nicht von den politischen Feinden ihrer Zeit gefressen zu werden. Über diese und zahlreiche andere Wirkungsweisen der Farbe Rot informiert die gleichnamige Ausstellung im Lipsiusbau der HTWK.
Ein Geflecht der Bedeutungen
Wer schon immer vom Kriegsgott Mars begrüßt werden wollte, dem sei die Ausstellung der Museologie-Studenten Maximilian Nalbach, Justine Krämer, Julia Beckmann und Marie Karutz empfohlen. Der auf einem Samtkissen ruhende Gipsabguss vom Relief der Ara Pacis sticht sofort ins Auge. Und wirft seinerseits einen bestechenden Blick zurück.
„Es gibt keine feste Laufrichtung für die Ausstellung“, erklärt Marie. Jedes Thema der Farbe Rot sei zwar separat dargestellt, allerdings würden sie alle miteinander zusammenhängen. Ich ahne, was sie meint, als ich zur Decke schaue: Ein rotes Fadengeflecht zieht sich wie das Netz einer Spinne durch den Raum, verbindet einen Winkel mit dem anderen.
Der Raum ist trotz des visuell dominanten Themas klar aufgeteilt: Vitrinen, Texttafeln, die von der Decke hängen und an Wänden sowie Ständern befestigt sind, ein aus Kunstrosen geflochtenes Mobile in der Mitte – die Elemente sind so angeordnet, dass sie der Farbe und ihrer kulturell beinahe schon obszönen Bedeutung den Raum überlassen.
Die Narzisstin unter den Farben
Rot, so aggressiv und unmissverständlich es daherkommt, ist eine Gefallsüchtige, die sich überall präsentiert. Kaum glaubt der Betrachter, ihre Signalwirkung verstanden, die Essenz dieser Farbe durchdrungen zu haben, entgleitet sie ihm wieder und streckt aus einem völlig anderen Zeitalter der Menschheitsgeschichte frech die Zunge heraus.
Bereitwillig gibt sie sich der Prostitution hin und erobert seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch die Make-up-Industrie. Um im selben Atemzug auf türkischen Hochzeiten die Braut einzuhüllen oder in der Kirche Jesus zu preisen.
Rot ist alles andere als unschuldig. Es flutet Schlachtfelder, lässt Verheiratete ihre Treueschwüre schließen und dann wieder an anderen Orten brechen, stürzt politische Systeme, schafft und nimmt Leben.
Symbolisch stehen dafür der Messwein und ein aufgeplatzter Granatapfel unter einer Vitrine. Nicht weit davon entfernt prangt der Dreizack, und noch näher dran liegt eine rote Echthaarperücke. Teufel, Hexen und Heilige – sie alle werden mit dieser Farbe in Verbindung gebracht.
Auf Mündern entfaltet Rot eine ebenso starke Wirkung wie auf Wahlplakaten, als Gedenkblume am Revers, im Bundesverfassungsgericht und in den Thronsälen einstiger Monarchien.
Nicht erst seit der Phrygischen Mütze der Französischen Revolution erobert Rot die Köpfe und Nationen dieser Welt. „Rot ist die häufigste Farbe auf Flaggen“, weiß Marie.
Und tatsächlich: Italien, Deutschland, Frankreich, Polen, Großbritannien, Kanada, Portugal, Spanien, Libanon – beinahe überall prangt sie auf den Fahnen, Emblemen und Bannern dieser Welt. Rot wurde unter Jeanne d’Arc zur Symbolfarbe im Widerstand gegen die Aristokratie, später zur Couleur der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und auch in die heutige Konsumwelt hat sie sich perfekt eingenistet.
Was einstmals eine seltene Warnfarbe der Natur war, wurde den Menschen sukzessive als Aufmerksamkeitsmagnet aufgezwungen. „In ca. 50 Jahren wird dieser Effekt verschwunden sein“, so Marie. Ich weiß, was sie meint. Schon jetzt, nach einer halben Stunde, bekomme ich Kopfschmerzen von dieser aufdringlichen Farbe.
Gleichzeitig kann ich mich ihr nicht entziehen. Sie ist die große Verführerin, lockt sowohl mit aufrührerischen Ideen als auch mit großen Idealen, mit Sinnlichkeit, Genuss, aber auch mit Gewalt, Krieg und Tod. All das wird in dieser Ausstellung deutlich. Wer sich in dieses Geflecht wagen und einen Zugang zu dieser faszinierenden Farbe erhalten möchte, sollte sich die Gelegenheit bis zum 29.06.2017 nicht entgehen lassen.
ROT. Eigenschaften einer Farbe.
Ausstellung im Lipsiusbau der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK)
19.-29. Juni, Montag bis Freitag 13:00-14:30 Uhr
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