Überladene Muttergefühle

Bei Darren Aronofskys neuestem Film „mother!“ lohnt es sich, die Deutungswut zu zügeln. Denn sehenswert ist der Film allemal: visuell und schauspielerisch.

mother_274.jpg
Javier Bardem und Jennifer Lawrence geben in mother! ein scheinbar unzertrennliches Paar. (Foto: Verleih)

Die Filme von Regisseur Darren Aronofsky schwanken in ihrer Qualität. Einerseits kann er künstlerisch anspruchsvolle Werke erschaffen (Black Swan, Requiem for a Dream), andererseits aber auch die große Blockbusterkeule rausholen (Noah). Liest man die Besetzungsliste für mother!, erwartet man eher Letzteres. Doch gewiss ist auch, dass bei Aronofsky Schubladen eben nicht gut greifen. Noah war zwar mit einem Millionenbudget ausgestattet und namenreich besetzt, hat aber durchaus philosophische Tiefe gehabt (Kritik siehe hier). mother! feierte nun beim Filmfest in Venedig Premiere und lässt die Erwartungen nach anspruchsvollem Massenkino wieder steigen.

Ganz abgelegen, irgendwo im Nirgendwo, steht das alte Haus, in dem das namenlose Paar einem scheinbar ruhigen Leben nachgeht. Sie (Jennifer Lawrence) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Haus zu restaurieren und ihm (Javier Bardem) bedingungslos jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, damit er schreiben kann. Ein erstes Klischee: die junge schöne Frau, die den Schriftsteller-Gatten abgöttisch liebt. Wie Aronofsky die junge Schöne einfängt, ist fabelhaft. Da wundern einen die Klatschgeschichten über eine angebliche Liaison zwischen Regisseur und Schauspielerin nicht. Wie Jennifer Lawrence ihren scheuen Blick auf der Suche nach ihrem Geliebten schweifen lässt, ist einfach ein toller Kinomoment.

Doch diese Ruhe währt nur einen Filmmoment, dann bricht das Außen ins Biedermeier. Ein Mann (Ed Harris) und eine Frau (Michelle Pfeiffer) dringen als Fremde ein, vereinnahmen das Heimische und den geliebten Menschen, was erste kritische Falten auf die Stirn der Schönen malt. Denn Er wirft die Eindringlinge nicht raus, so dass Sie sich der Situation anpassen muss. Wunderbar anzusehen: Dieser Schlagabtausch zwischen Madame Pfeiffer und Mademoiselle Lawrence. Das Scheue und noch Zurückhaltende, das gegen das Erfahrene und Dominante keine Chance hat und sich zurückzieht. Vorerst.

Das ist alles wunderbar, sieht toll aus und wird meisterhaft gespielt. Doch dann gibt es von Aronofsky eingebaute Ebenen, die keinen richtigen Sinn ergeben wollen. Warum gibt es beispielsweise diese klischeehaften Horrorfilmmomente? Die Schöne im Keller, Blut, das von der Wand tropft, als ob gleich ein Monster aus ihr hervorspringen würde. Dient das Haus, in dem sämtliche Szenen spielen, auch als Metapher für den Zustand der Beziehung? Eine schöne Oberfläche, die langsam zerfällt? Das sind so die Gedanken, die kommen, aber sich im Film und im Kopf zu keinem zusammenhängenden Ganzen fügen. Zudem werden Horrorfans hier nicht glücklich und Zartbesaitete erst gar nicht den Gang ins Kino wagen.

Und das Finale? Großartig, verrückt, bildgewaltig, aber total überfrachtet mit Andeutungen, die nicht in sich schlüssig sind. Müssen sie vielleicht auch gar nicht. Natürlich kann man in mother! eine Beziehungsgeschichte erkennen, spezieller sogar die Beziehung zwischen Künstler und Muse. Der Künstler, der die Anderen braucht, ihre Blicke und Aufmerksamkeit und damit das Idyll zerstört. Sie als Mutter, nicht nur für ihr Kind, sondern auch die Mutter der Inspiration – gebraucht/missbraucht und letztlich ersetzbar. Das kann so stehenbleiben, muss auch nicht weiter ergründet werden. Denn wenn man als Zuschauer die Deutungswut etwas zurückstellt, kann sich der Filmgenuss bedeutend besser einstellen.

mother!

USA 2017, 115 Minuten

Regie: Darren Aronofsky; Darsteller: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Domhnall Gleeson

Kinostart: 14. September 2017

Voraussichtlich im Cineplex, Cinestar, Regina Palast, Schauburg


Ein Kommentar anzeigen

  1. Ich wage zu bezweifeln, dass man sich diesen Film allein mit Fokus auf Bildgewalt und Schauspielkunst anschauen kann. Dafür ist er dann doch zu rätselhaft und verstörend. Die verschachtelte Struktur der Symbolik (Beziehung Mann-Frau, Künstler – Inspiration, aber auch viel breiter als Kultur-Natur, Gott-Schöpfung) lässt erfreulicherweise keine einfache Deutung zu, die dann schlichtweg eine öde Dichotomie wäre. Aber die deutlichen Bibel-Anleihen – erst ein Mann, „Was, er hat auch eine Frau“, dann zwei Söhne, wobei einer den anderen erschlägt, später der den Menschen geopferte einzige Sohn und der anschließende Weltuntergang – sind eigentlich schwer zu übersehen. Dieses Spiel ließe sich mit zahlreichen einzelnen Gestalten, die im Film auftauchen, weitertreiben und machen so aus einem chaotischen Reigen ein reizvolles und überaus uneindeutiges Puzzlespiel. Das macht einen wesentlichen Reiz des Films aus, den man nicht leichtfertig abtun sollte.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.