„Die Liebe zur Kunst hat mich gerettet“

Die Lebenserinnerungen des in Leipzig geborenen Kunstsammlers Egon Hassbecker

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Haspelgasse 12 in Heidelberg – der Titel dieser Autobiografie – ist für die Liebhaber Naiver Kunst eine gute Adresse. Denn hier befindet sich das 1982 von Egon Hassbecker gegründete Museum Haus Cajeth, mit dem der 2013 Verstorbene seinen Lebenstraum verwirklichen konnte.

Kindheit und Jugend verbrachte Hassbecker in Leipzig. Geboren wurde er am 18. August 1924 in der Lilienstraße nahe der Östlichen Rietzschke im Stadtteil Reudnitz. Dort wuchs Hassbecker mit seiner Mutter in der Wohnung seiner Großeltern auf, den Vater lernte er nicht kennen. Die Familie war musikalisch: Der Großvater arbeitete als Musiklehrer, Onkel Karl verdiente sein Geld als Geiger und Tanzmusiker unter anderem im Forsthaus Raschwitz.

Detailreich schildert Hassbecker den Alltag in seinem Viertel in der Zeit um 1930: die Bäcker, bei denen die Kinder dicke Kuchenränder ergatterten, die Bierkutscher und Eiswagen, die durch die Straßen fuhren, die Mühsal der »großen Wäsche«, die Ausflüge nach Taucha, bis die Familie einen eigenen Schrebergarten im Verein »Morgensonne« pachtete, oder die »Flohkiste«, das kleinste und billigste Kino in Leipzig in der Wurzener/Ecke Breite Straße.

Die Schulzeit war von der Machtübernahme der Nazis geprägt. Obwohl in seiner Familie niemand ein Parteiabzeichen trug, trat Egon als Zehnjähriger dem »Jungvolk« bei. Er habe die allgemeine Euphorie geteilt und kindlich an eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten und Freunden geglaubt. Doch die Aufmärsche und Exerzierübungen machten wenig Spaß und die Heimatabende erlebte er als öde. Dagegen waren die Sommerfreizeiten mit dem CVJM, dem Christlichen Verein Junger Männer, bis sie schließlich untersagt wurden, eine glückliche Zeit.

Eingeprägt hat sich die »Reichskristallnacht«, der Hass und die Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung, die mit Naziparolen beschmierten und zerstörten jüdischen Geschäfte, wie das Kaufhaus Wohlwert in der Wurzener Straße, und die brennende Synagoge in der Innenstadt. Die Nachricht vom Überfall auf Polen, der Beginn des Zweiten Weltkriegs, löste in der Familie keine Begeisterung aus. Neben der Lebensmittelrationierung ist Hassbecker die Verdunklung der Stadt in Erinnerung geblieben. Doch von einigen kriegsbedingten Einschränkungen abgesehen ging für ihn das Leben Anfang der 1940er Jahre relativ normal weiter.

1942 wurde Hassbecker zum Reichsarbeitsdienst einberufen und kam Ende des Jahres zur Wehrmacht. Die Erfahrung des Krieges in Ostpreußen, den er in seiner Grausamkeit schildert, machten ihn später zu einem überzeugten Pazifisten. Nach der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion kehrte Hassbecker 1949 nach Leipzig zurück. Da hatte sich die Gesellschaft in den neuen Umständen bereits wieder eingerichtet. Zehn Jahre seines Lebens habe er verloren und doch sein Schicksal angesichts der Kriegsverbrechen als Gnade empfunden.

Mit den Verhältnissen in der DDR konnte er sich nicht anfreunden und ging in dem Bewusstsein, die ersten 25 Jahre seines Lebens in Unfreiheit verbracht zu haben, aus dem ärmeren Teil Deutschlands in den Westen. Hier arbeitete er als Zeitschriftenverkäufer und gründete mit einem Freund einen Bücherdienst, bis er an Tuberkulose erkrankte, die ihn zu einem einjährigen Sanatoriumsaufenthalt zwang. Die Versorgungsrente, die er aufgrund der Krankheit und einer Kriegsverletzung erhielt, ermöglichte ihm seine spätere Unabhängigkeit. Hassbecker heiratete und bekam mit seiner Frau zwei Kinder. In den 1960er Jahren engagierte er sich in der Friedensbewegung. In Eberbach, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Heidelberg, betrieb er eine Reisebuchhandlung, die bald als »rotes Nest« galt. In seiner Biographie schildert Hassbecker die Begegnung mit Menschen, die seine Liebe zu Literatur und Bildender Kunst teilten und ihn bei den ersten Ausstellungen in der Buchhandlung unterstützten. Hassbecker begann, selbst Kunst zu sammeln. Den Schwerpunkt bildeten Werke der Naiven Malerei, die er zu erschwinglichen Preisen erwerben konnte.

Hassbecker erzählt, wie er in Begleitung seiner Lebensgefährtin Barbara Schulz auf abenteuerlichen Reisen durch Ost- und Südeuropa neue Künstler entdeckte. Auf seinen Exkursionen abseits der Touristenpfade nach Jugoslawien, in die Tschechoslowakei, nach Rumänien und Italien lernte er Menschen kennen, die in Armut und Isolation am Rande der Gesellschaft lebten. Mit Empathie und Respekt schildert er deren Lebensumstände und Schicksale. In der Malerei hatten sie eine Ausdrucksform für ihre Erfahrungen und Sehnsüchte gefunden. Den meisten Künstlern seiner Sammlung ist Hassbecker teilweise mehrfach persönlich begegnet und mit ihrer Malerei verbinden sich für ihn die Erinnerungen an diese ungewöhnlichen Menschen.

In den 1980ern erhielt Hassbecker das Angebot, nach Heidelberg zu gehen, und eröffnete in der Haspelgasse eine Buchhandlung und 1982 das Museum Cajeth, das bis heute existiert und Heidelberg mit der Sammlung Prinzhorn zu einem Mekka der Outsider-Kunst in Deutschland gemacht hat.

In seinen letzten Lebensjahren hat Egon Hassbecker seine Erinnerungen aufgeschrieben. Das Ergebnis ist diese Autobiographie mit viel Leipziger Lokalkolorit, mit eindrücklichen Kriegserfahrungen und seltenen Einblicken in das Schicksal und Schaffen der sogenannten Outsider-Künstler, denen er mit seiner bedeutenden Sammlung einen wichtigen Teil seines Lebens gewidmet hat.

Egon Hassbecker: Haspelgasse 12 in Heidelberg – Erinnerungen eines Bildersammlers

Morio Verlag

Heidelberg 2016

560 Seiten, 24,95 Euro


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