Eine Parabel von Staat und Ohnmacht

Der Film „Angst, der Feind in meinem Haus“ erzählt Erschreckendes nach einer wahren Geschichte

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Ende vorm Strafrichter: Randolph Tiefenthaler (Heino Ferch) und seine Frau Rebecca (Anja Kling). (Foto: ZDF)

Der Film beginnt idyllisch: eine glückliche Familie zieht mit zwei Kindern in eine große Wohnung mit großem Grundstück, der Mann arbeitet hart für die Familie, das will man zeigen und genießen. Das Glück währt nicht lange, der attraktiven Mutter (Anja Kling) ist der neue, fürsorgliche Nachbar (Dieter Samel) bald suspekt, schleichend beginnt hier ein Kreislauf, der in absoluter Verzweiflung enden wird und den Höhepunkt vor dem Strafrichter findet.

Angst, der Feind in meinem Haus ist ein Psychothriller nach dem Roman von Dirk Kurbjuweit, der seine wahre Geschichte niederschrieb. Regie führte Thomas Berger. Doch der Film ist nicht nur die Adaption einer wahren Geschichte, er ist vor allem eine Parabel von Staat, Recht und Ohnmacht.

Wenn die Grenzüberschreitungen des Nachbarn auch schleichend beginnen und vom vielarbeitenden Familienvater (Heino Ferch) noch belächelt werden, nimmt der Film rasch schnelles Tempo an, wenn auch ohne rechten Spannungsbogen. Diese baut sich nicht recht auf, weil auch noch andere Kriegsschauplätze gezeigt werden: der Konflikt zwischen Großvater und Familienvater, eine sich anbahnende Ehekrise, inmitten des klischeehaften Bildes des überarbeitenden Mannes und der hysterischen Ehefrau. Doch trotz fehlender Spannung, der Zuschauer wartet auf die finale Katastrophe, dem beklemmenden Gefühl des Themas kann man sich nicht entziehen.

Der Nachbar starrt nachts offensiv in die Wohnung, gönnt der Familie keine Ruhe, hört er durch den Lüftungsschacht auch noch jedes Wort, schreibt Liebesbriefe und greift genau den wundesten Punkt der Nachbarin an: die Kinder. Der Versuch, den Nachbarn auf Distanz zu halten, endet im Schlimmsten für die Familie: Verleumdung, die Behauptung, die Kinder würden sexuell missbraucht werden.

Wenn dieses Wort auch nicht einmal fällt, weil es nicht zu der Erfolgsgeschichte der Familie passt, so zeigt sich im Verhalten der Familie, das man als Zuschauer in manchen Szenen nur kopfschüttelnd kommentieren kann, vor allem eins: Ohnmacht. Alles dreht sich um diesen Vorwurf, um eine Behauptung, von der man nicht einmal weiß, ob sie öffentlich gemacht wurde, denn ein Jugendamt hat sich nicht gemeldet. Als dann ein Gedicht ins Haus flattert, das davon erzählt, wie schön es ist, die Familienmutter zu töten, so ist das nicht wichtig, es ist dieser Vorwurf, der Angst verbreitet und zu irrationale, Verhalten: die „Selbstanzeige“ der Mutter beim Jugendamt, die Angst des Vaters, seine Kinder zu baden. Über die Morddrohung gegenüber der Familienmutter redet man während des ganzen Films nicht mehr, obwohl die Rechtsanwältin bittet konkrete Hinweise für eine Gefährdungslage zu bringen. Die Unsicherheit innerhalb der Familie mündet in der Angst vor dem gesellschaftlichen Tod, verzweifelte Bitten beim Besitzer des Hauses mit dem Nachbarn zu reden, verhallen, man wolle das Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfes wegen sexuellen Missbrauchs abwarten, ein Abendessen mit Freunden endet in einer hitzigen Diskussion, das man dem Nachbarn zu arrogant sei und immer wieder die Frage: Könnte an diesen Vorwurf nicht etwas dran sein?

Es zeigt sich, das dieser Vorwurf das Schlimmste ist, was man einer Mutter antun kann, die Gefahr für das eigene Wohlbefinden rückt in den Hintergrund. Hilfe vom Staat kann die Familie nicht erwarten. Der Rechtsstaat gibt eine Intervention nicht her, Gewalt übt der Nachbar nicht aus. Auch die Rechtsanwältin der Familie verweist auf den Rechtsstaat. In aller Ohnmacht greift der Familienvater (Sohn eines Polizeihauptkommissars) erst zu dem Mittel dem Nachbarn 10000 EUR für seinen Auszug zu bieten und dann zum Endgültigen: im so idyllisch wirkenden Familienhäuschen fällt ein Schuss, der den Nachbarn tötet.

Das Lehrstück des Films beginnt in den letzten 20 Minuten: ein Abriss der Gerichtsverhandlung, das Richten über Schuld und Unschuld und die Frage, wann Gewalt beginnt. Wenn die Friedliebigkeit des toten Nachbarn hervorgehoben wird, der nie zur Gewalt gegriffen hätte, so ist die Familie erneut in Erklärungsnot. Die seelische Quälerei, der haltlose Vorwurf, all dies ist Gewalt, die Spuren hinterlassen hat. Und während der Film keine richtige Spannung aufbauen konnte, so bringt die Familienmutter es vorm Gericht auf den Punkt: Ist es Gewalt, wenn sie geschlagen werden oder wenn sie täglich darauf warten? Der Gewaltkreislauf, erzeugt durch den Wunsch der sexuellen Lustbefriedigung, nahm mit den Übergriffen des Nachbarn den Anfang und endete im tödlichen Schuss, weil die staatliche Gewalt nicht eingreifen konnte oder wollte.

So führt der Familienvater die Parabel fort, indem er offen anspricht, was Hauptthema des Films ist: „Ihr seid der Staat und ihr habt nicht geholfen. Wir haben einen Vertrag mit euch, wir verzichten auf Gewalt und geben dem Staat das Gewaltmonopol, im Vertrauen, das er auch hilft“.

Es klingt mehr Trotz denn Rechtfertigung in seinem Ton und dennoch ist dieser Satz der Kernstücks des Films: deutet er nicht nur die Hilflosigkeit der Familie an sondern führt auch die Ohnmacht des Staates vor. Das am Ende Recht gesprochen wird über den tödlichen Schuss in der kleinen Idylle ist nur noch Nebensache, denn die Wunden müssen heilen. Es bleibt ein verwaistes Haus zurück, eine Familie, die sich wieder selbst finden muss.

Der Film ist kein Plädoyer für Selbstjustiz, auch wenn er Fragen aufwirft, an Recht und Gerechtigkeit. Vielmehr führt er dem Zuschauer Beklemmungen vor Augen, die plötzlich jeden treffen können.In das Thema der Ohnmacht kommt eine hervorragende Regiearbeit, die mit wenig Licht und herausragenden Schauspielern Glaubwürdigkeit liefert.

Angst, Der Feind in meinem Haus. Ein Fernsehfilm

Deutschland 2017, 89 Minuten

Regie: Thomas Berger; Darsteller: Heino Ferch, Anja Kling, Udo Samel

Sendetermin: 16. Oktober 2017

abrufbar ZDF Mediathek bis 14. Januar 2018


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