Bildgewaltige Abgründe

DOK Leipzig: Das belgische Regie-Duo Karen Vázquez Guadarrama und Bart Goossens haben mit ihrem Wettbewerbsbeitrag „When the Bull Cried“ eine magisch-poetische Geschichte vom Leben in den Bergen erschaffen

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„When the Bull Cried“ von Karen Vázquez Guadarrama und Bart Goossens porträtiert Bewohner einer Stadt in den bolivianischen Anden. (Foto: Dok Leipzig 2017)

Legenden aus tiefschwarzer Nacht steigen den Berg herauf. Sie handeln von Tod und Leid. Eine Stadt über den Wolken, beherrscht vom Berg. Die bolivianische Hochebene mit ihrer kargen Landschaft ist unwirtlich und hat nicht viel zu geben. Alles, was es gibt, wird Mutter Erde mühsam abgetrotzt. Die kooperativ geführte Mine ist Dreh- und Angelpunkt des Lebens. Aus ihr werden Silber und andere Mineralien abgebaut, immer im Kampf gegen El Tío, den Herrscher der Unterwelt. Dazu werden Sprengungen vorgenommen, die die ganze Hochebene erschüttern und immer wieder Tote aus der Mine befördern.

Die Kamera folgt den Arbeitern in die Mine, wo Dunkelheit allumfassend ist. Die Arbeit und das Leben sind hart. Doch dies ist nicht die alleinige Geschichte, die Vázquez Guadarrama und Goossens erzählen wollen. Denn im Verlauf des Films wird ziemlich schnell klar, dass die Männer nicht im Fokus der Beobachtungen stehen. Sie und die Mine sind eher wie ein Hintergrundrauschen zu den anderen Lebensgeschichten. Eine Alte, eine Mutter von vier Kindern und ein Waisenjunge bilden die Trias der Filmerzählung. Schnell ist klar, wie ambivalent die Mine ihr Leben bestimmt. Die Mutter sagt, dass sie hier glücklich ist, dass sie die Freiheit genießt. Sie hat ihren alkoholkranken Mann verlassen und schlägt sich alleine durch. Gleichzeitig bangt sie um ihren Sohn, der Anstalten macht, lieber in der Mine zu arbeiten als seine schulischen Aufgaben zu erledigen. Wird er wie ihr ältester Sohn enden, der von seinem besten Freund umgebracht wurde, weil sie sich im Suff über irgendwas gestritten haben?

Sowieso der Alkohol. Das harte Minenleben, das immer weniger Profit abwirft, ist scheinbar nur noch im Vollrausch zu ertragen. Der Blick in die vermeintliche Goldgräberstadt zeigt verhärmte Menschen in von Schmutz erstarrter Kleidung. Alle Hoffnung auf bessere Zeiten wird in die Anbetung des Unterweltgottes gelegt. In einem bizarren Opferritual wird ein Bulle brutal geschlachtet. Das Messer bohrt sich in seine Eingeweide, das Herz wird ihm entrissen und noch pulsierend ins Feuer geworfen. „Das ist gut, das ist gut“, frohlockt der Dorfschamane.

Dieser fast hoffnungslosen Starrheit werden die Träume des Waisenjungen entgegengesetzt. In die weite Welt soll es gehen, der Traum vom Tänzerdasein ist eine Option zu entkommen, auch oder gerade, weil die Eltern tot sind und er ganz pragmatisch nicht an Unsterblichkeit glaubt.

When the Bull Cried ist sowohl auf thematischer als auch auf formaler Ebene perfekt komponiert, ohne jedoch künstlich zu wirken. Die Schönheit des Lebens wird direkt mit den Abgründen des Daseins kontrastiert. Grandiose Bilder der Andenlandschaft verschaffen dem Ganzen eine mystische Anmutung. Dazu haben Vázquez Guadarrama und Goossens einen Klangteppich erschaffen, der in Mark und Bein übergeht. Es gibt keine andere Wahl, als gebannt auf die Leinwand zu schauen und die poetische Magie der Bild-/Klangwelt in sich aufzusaugen. Der Film ist ein würdiger Wettbewerbsbeitrag, der eine wunderbare künstlerische Handschrift trägt.

Cuando el toro Lloró – When the Bull Cried

Belgien, Bolivien 2017; 61 Minuten

Regie: Karen Vázquez Guadarrama & Bart Goos

DOK Leipzig 2017, Internationaler Wettbewerb langer Dokumentar- und Animationsfilm

Vorführungstermine, Katalogtext

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