Krankhafte Eifersucht

Elena Stancanellis Roman „Die nackte Frau“ dümpelt erst vor sich hin und sucht dann den Skandal in der Eskalation

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Anna trauert ihrer gescheiterten Beziehung zu Davide nach. Ihrer Freundin Valentina – so werden wir eingeführt – will sie nach einem Jahr ihre ganze Höllenfahrt einer zerquälten Psyche beschreiben. Valentia ist die einzige, die ihr geholfen und sie immer begleitet hat, die mit Anna noch ins Restaurant geht und Schweigen, Blicke aufs Telefon und ratloses Herumpicken im Essen toleriert. Wobei man sich schon fragen darf, was sie für eine tolle Hilfe ist. Lediglich einmal holt sie einen Zettel mit der Adresse einer Selbsthilfegruppe hervor.

Zufällig belauscht sie Davide, als er über seine Frauengeschichten in Prahlerei gerät. Ein Autoschlosser, der bei seinen Kundinnen nichts anbrennen lässt. Sie nimmt Davide nicht etwa übel, dass er auch zu anderen Frauen sexuelle Beziehungen hat, sondern dass er nicht daran denkt, sie im stillen Einvernehmen zu schonen. Auch Anna nimmt schon mal einen Seitensprung mit, aber sie hält sich an die Vereinbarung, über solche Eskapaden nicht zu reden und sich nicht zu verlieben. So hätte sie das auch von ihrem Freund erwartet.

Ihre Beziehung endet mehr oder weniger, die Gewohnheiten bleiben noch, etliche Male zieht er ein und wieder aus, ab und an sehen sie sich noch, schlafen auch noch miteinander, aber in ihr bohrt längst krankhafte Eifersucht. Über eine App kann sie mittels eines blauen Punktes sehen, wo sich ihr Ex-Lover gerade aufhält. Selbst wenn er bei ihr ist, suchen ihre Augen den blauen Punkt auf dem Display, der Davides Standort bezeichnet. Zugang zu seinem Facebook-Account hat sie ebenfalls.

Bei einiger Empathie wird man hier das Buch vermutlich nicht weglegen, gleichwohl die Autorin von diesen Ereignissen nicht gerade mit der Raffinesse spannender Erzählkünste schreibt. Elena Stancanelli wurde 1965 in Florenz geboren. Die Schriftstellerin promovierte in Philologie, wurde Schauspielerin und debütierte mit ihrem auch verfilmten Roman Benzin.

Bis hierher jedenfalls wirkt die geistige Armut der Protagonistin eher als Symptom und wir bleiben gleichsam aus Mitleid am Buch, wenn sie konstatiert: „Während dieser Zeit wurde ich zunehmend unfähig, für mich zu sorgen. Ich habe die Wohnung verkommen lassen, aber auch meinen Körper. Nicht nur zog ich mich immer gleich an, ich wusch mich auch kaum, kämmte mich nicht und depilierte mich fast nie. Ich verwahrloste, wurde schlaff, hatte den Eindruck zu stinken.“ Ihr Leidensweg geht bis zum tatsächlichen Zusammenbruch, gepaart mit dem Selbstekel vor der eigenen Obsession. Sie vermutet, Davide fände an ihren Nachstellungen Gefallen, sie schmeicheln seinem Ego.

Andererseits wundert Anna sich nämlich, wie viele Männer Sex von ihr wollen, gerade weil sie so abgefuckt und fertig ist. Sie beginnt ihre Libido ganz zwanglos zu verteilen und diese erotischen Szenen werden mit kitzelnder Schamlosigkeit serviert. Sie bläst beliebig oder gibt sich passiv für die kurze Befriedigung ihres jeweiligen Partners hin. Solcherlei Beschreibungen beleben sozusagen endlich die grau werdende Schilderung psychischen Leids.

Cane heißt die Frau, die dem noch immer von ihr begehrten Davide mehr als seine sonstigen Eroberungen bedeutet. Dank ihrer unermüdlichen Nachforschungen weiß Anna, in welchem Viertel sie wohnt und es gelingt ihr mittels vorgetäuschten Missgeschicks, sich mit ihr anzufreunden. Der Bruder von Cane verliebt sich in Anna, sie gehen aus und besuchen ein Etablissement mit erotischen Darbietungen. Cane muss sich nach den Austern übergeben, vielleicht ist ihr aber auch das Crystal nicht bekommen, ihr wird schlecht, der Notarzt muss gerufen werden. Als die Party-Gesellschaft im Verlaufe des Abends an der Klinik auftaucht, um nach Cane zu sehen, dreht Anna durch und schlägt auf Cane ein, was sie auch noch zu genießen scheint. Sie kann sich von ihrer Paranoia befreien, nachdem die Kontrahentin blutend zusammenbricht.

Annas Probleme sind mit dieser Eskalation gelöst und auch der Roman hat lange aufgehört, nur so vor sich hin zu dümpeln, so dass er nicht nur seine Leser fand, sondern auch wochenlang die Bestseller-Liste anführte. Der brave Leser rekelt sich: ein Bravourstück der Lust und lustvollen Verworfenheit für die, die solcherlei Lektüre mögen.

Ein gewisses Unwohlsein lässt den empfindlichen Leser hier zurück, nachdem sich die Autorin – äh, Entschuldigung – natürlich die Protagonistin Anna nackt gemacht hat.

Ein Unwohlsein, das nur die Verfasserin aufklären könnte, wenn es gleich auf Seite 8 im Ton des anti-jüdischen Ressentiments heißt – aus dem weiteren Text erschließt es sich meines Erachtens nicht – : „… vielleicht bei einem dieser Gesellschaftsspiele, für die jüdische Autoren eine Vorliebe haben, kannst du sagen, dass du jemandem das Leben gerettet hast. Nämlich mir.“

Da wird die einzige Freundin fit gemacht, man kennt das ja von den Juden, die spielen mit Worten. Es bleibt freilich hier bei der rhetorischen Platzpatrone, die verallgemeinernde Unterstellung wird probiert, sollte wohl Rückversicherung sein, dass allemal noch ein Skandal hätte losgehen können. Auch wenn wir nicht aufgeklärt werden, aber das ist allgemein bekannt, die Juden machen ihre Schweinereien auch ohne Sex und mit Wortspielen, das ist nicht koscher. Wollte Frau Stancanelli sicher gehen, dass es wirklich ein Skandal wird? Hängt bei einer Verfilmung von Die nackte Frau in Davides Garage das Hitler-Bild an der Wand?

Elena Stancanelli: „Die nackte Frau“

Übersetzt von Karin Diemerling

Piper Verlag

München 2017

18 €, 224 S.


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