Neugier und Freude

Andris Nelsons gibt mit einem gelungenen Konzert zwischen Tradition und Gegenwart seinen Einstand als 21. Gewandhauskapellmeister

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Der Lette Andris Nelsons ist seit Februar 2018 Gewandhauskapellmeister. (Foto: Jens Gerber)

Schön, dass die Zeit ohne amtierenden Gewandhaus-Kapellmeister endlich vorbei ist. Schön auch, dass der neue Amtsinhaber, der lettische Dirigent Andris Nelsons, im Rahmen der Gewandhaus-Festwochen nicht nur die zweifellos bedeutsame Tradition des Orchesters beschwört, sondern auch Uraufführungen dirigiert sowie Werke der klassischen Moderne, die nicht gerade als leichte Kost gelten dürfen, wie beispielsweise Anfang März Schostakowitsch‘ 8. Sinfonie. Auch das Antrittskonzert ist alles andere als ein Easy-Listening-Jubelprogramm, vor allem dessen erster Teil nicht.

Am Anfang steht ein Auftragswerk Steffen Schleiermachers, des unermüdlichen Anwalts der Neuen Musik am Gewandhaus. Sein Relief für Orchester nimmt sich – wie der Komponist auch – selbst nicht allzu ernst, sondern feiert lieber das Orchester und dessen enormes musikalisches Potenzial in zahlreichen instrumentalen Soli, die sich reliefartig aus der Ebene des orchestralen Tuttiklangs lösen. Dies ist nicht besonders tiefsinnig und kurz nach dem Hören schon wieder vergessen, macht aber durchaus Spaß, was auch einmal erlaubt sein muss, erst recht heute Abend.

Ernst wird es ohnehin früh genug, wenn die phänomenale Geigerin Baiba Skride und ihr Landsmann Andris Nelsons sich Alban Bergs berührenden Violinkonzerts annehmen. Wenn dieses Konzert etwas nicht verträgt, dann sind es solistische Eitelkeit und Geltungsdrang. Allzu oft vertraut Berg der Sologeige Nebenstimmen an und schreibt minutiös in die Partitur, welche anderen Instrumente jeweils unbedingt zu hören sein müssen. Skride weiß dies und hält sich daran, auch wenn dies zur Folge hat, dass ihr Spiel mitunter im Gesamtklang nahezu unhörbar aufgeht. Gerade durch die bewundernswerte Zurückhaltung an den richtigen Stellen beweist die Solistin ihre musikalische Größe. Besonders beeindruckend gerät jene Passage kurz vor dem Ende des Konzerts, in der die einzelnen Streichergruppen nach und nach in die melodischen Linien der Sologeige einfallen. Wie Baiba Skride sich zu den Kolleg_innen im Orchester umdreht und sie gleichsam einlädt, ihr zu folgen, zeigt, wie sehr sie das Konzert verinnerlicht hat. Andris Nelsons hört genau zu und erweist sich als umsichtiger Partner, der allerdings dynamisch noch einige Abstufungen mehr aus seinem Orchester hätte abrufen können. Vor allem der Schluss gelingt leider nicht so delikat und ätherisch wie vom Komponisten vorgesehen – statt dem geforderten Pianissimo wird allenfalls ein Mezzopiano geboten.

Mit Mendelssohns „Schottischer“ Sinfonie wird dem Publikum im zweiten Konzertteil dann schließlich vertraute Kost angeboten. Zugleich kann man darin einen Beitrag zum 275jährigen Jubiläum des Orchesters sehen, das die Sinfonie 1842 unter der Leitung Mendelssohns uraufführte. Die heutige Aufführung zeigt ein Orchester auf der Höhe seiner Fähigkeiten und einen Dirigenten, der klanglich aus dem Vollen schöpft und dankbar annimmt, was das Orchester ihm anbietet. So kostet er genüsslich den berühmten Gewandhaus-Sound aus und hält sich sehr im Hintergrund, was die Sinfonie stellenweise etwas episodenhaft wirken lässt, andererseits die Musik an vielen Stellen freier und lebendiger atmen lässt als man dies je zuvor gehört hat. Ein schönes Beispiel ist der wundervolle Dialog zwischen Klarinette und Fagott kurz vor dem Maestoso-Finale der Sinfonie, in den Nelsons sich im Grunde gar nicht einmischt, sondern lieber freudig bewegt dem kammermusikalischen Duett lauscht. Bleibt zu hoffen, dass Nelsons sich diese Neugier und Freude am gemeinsamen Musizieren bewahrt – es wird ihm, dem Orchester und dem Publikum guttun!

Antrittskonzert von Andris Nelsons als Gewandhauskapellmeister

Gewandhausorchester

Baiba Skride, Violine

Andris Nelsons, Dirigent

Steffen Schleiermacher – Relief für Orchester (Auftragswerk des Gewandhauses, Uraufführung)

Alban Berg – Violinkonzert („Dem Andenken eines Engels“)

Felix Mendelssohn Bartholdy – Sinfonie Nr. 3 a-Moll („Schottische“)

Freitag, 23. Februar 2018, Gewandhaus, Großer Saal


Live-Mitschnitt des Konzerts in der Arte-Mediathek – noch bis 26. Mai 2018

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