Gewandhaus goes Jazz

Im zweiten Konzert der Gewandhaus-Festwochen dirigiert Andris Nelsons Werke von Richard Wagner, B. A. Zimmermann und Dmitri Schostakowitsch – Solist ist Trompeter Håkan Hardenberger

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Håkan Hardenberger spielte mit dem Gewandhausorchester Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“ (Foto: Marco Borggreve)

Mit Schostakowitsch habe ich so meine Schwierigkeiten, das gebe ich unumwunden zu. So groß meine Bewunderung für den Menschen Schostakowitsch ist, der gegen alle Widerstände und allen Aufführungsverboten zum Trotz seiner künstlerischen Vision gefolgt ist, so fremd bleibt mir ein großer Teil seiner Musik. Dies soll keineswegs ein Qualitätsurteil sein, sondern beschreibt schlicht meine persönliche Distanz zu dieser Musik. Im heutigen Konzert hat sich an dieser Haltung nicht grundsätzlich etwas verändert und das will etwas heißen – denn besser kann man diese Musik eigentlich nicht spielen.

Beim Mitlesen der Partitur komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wie unglaublich präzise und differenziert Nelsons und die Gewandhaus-Musiker jede noch so kleine Vorgabe des Komponisten umsetzen. Besonders beeindruckend gelingen die zahlreichen Übergänge, die dynamischen Steigerungen, die Tempo- und Taktwechsel. Vor allem aber lassen mich die phänomenalen solitischen Beiträge quer durch die Instrumentengruppen immer wieder staunen. Da ist natürlich das ausgedehnte Englischhorn-Solo im ersten Satz zu nennen, dem auch Andris Nelsons ergriffen und fast bewegungslos lauscht, aber auch das Piccolo-Solo im zweiten oder die Soloklarinetten im vierten Satz. Doch nicht nur solistisch glänzt das Orchester: Wie rigoros die Bratschen im dritten Satz ihren grotesken Marsch spielen, wie grell das Blech in den großen dramatischen Ballungen der Rahmensätze aufleuchtet, ist unbedingt hörenswert – auch, wenn man die Musik selbst nicht unbedingt liebt. Ich wiederhole mich gern: Besser kann man Schostakowitsch nicht spielen.

Wagner schon, zumindest teilweise. Auf der einen Seite profitiert Nelsons von heiligem Ernst durchdrungene Lesart sehr vom vielgerühmten Streicherklang des Gewandhausorchesters, dessen warmer, etwas dunkler Klang wunderbar zu dieser Musik passt, auf der anderen Seite gerät der Anfang etwas zaghaft, wenn beispielsweise die Holzbläserakkorde nicht auf den Punkt anspringen, und im strahlenden Dur des Trauermarsches gehen Nelson etwas die Blechbläser durch. Spannende Aufgaben für den Tonmeister; denn ein Mitschnitt des Werkes soll mit auf die nächste Bruckner-CD.

Eindeutiger Höhepunkt des Abends ist für mich B. A. Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“ von 1954, in dem das titelgebende Spiritual eine überzeugende Symbiose mit Zwölftontechnik und Jazz eingeht. Dass der Titel sprachlich in die Gegenwart versetzt wurde („I see“ statt „I‘ve seen“), betont die Aktualität des Rassismusproblems bis in die Entstehungszeit des Werkes hinein und letztlich bis heute. Schon der Orchesterumbau von Wagner zu Zimmermann ist faszinierend anzuschauen: So stehen die von Wagner verlangten sechs Harfen nach nur zehn Minuten fast verwaist da und auch etliche weitere Musiker_innen verlassen das Podium. Herein kommen dafür unter anderem eine nahezu komplette Jazz-Bigband, Schlagzeuger und ein Pianist, der später im fliegenden Wechsel auch die Hammondorgel spielt. Ungewöhnliche Klänge also, die sich allerdings wunderbar ins Orchester einfügen. Es ist grandios, wie gut dem ungewöhnlich besetzten Gewandhausorchester die musikalische Gratwanderung zwischen „Neuer“ Musik und dem deutschen Jazz à la Zimmermann gelingt – ein weiterer Beleg dafür, dass das Orchester tatsächlich alles spielen kann. Dies liegt natürlich nicht zuletzt an Andris Nelsons, der das Orchester wunderbar motiviert und souverän alle orchestralen Register zieht, ohne den starken emotionalen Gehalt der Musik zu vernachlässigen. Im Mittelpunkt des Konzerts steht in diesem Fall aber eindeutig der Solist an der Trompete. Håkan Hardenberger spielt mit einer solch großen Leidenschaft und einem derart mitreißenden Swing, dass man sich streckenweise wundert, warum das Publikum trotzdem wie versteinert da sitzt. Man merkt, dass Zimmermanns Konzert in Hardenbergers Karriere eine große Rolle spielt und ihm daran gelegen ist, für diese tatsächlich großartige Musik zu begeistern. In seiner Dissertation schreibt Matthew Haley, das Konzert sei technisch so schwer zu spielen, dass sich Interpret_innen entscheiden müssten, ob sie sich auf Klarheit der Effekte und Verzierungen, korrekte Dynamik oder das richtige Tempo konzentrieren wollten, und kommt nach einem Vergleich mehrerer Einspielungen zu dem Schluss, dass maximal zwei der Parameter optimal umgesetzt werden könnten, der dritte jedoch vernachlässigt werden müsse. Ohne Noten kann ich nicht beurteilen, ob auch Hardenberger im heutigen Konzert ein derartiges Opfer bringen muss; dies scheint aber nachrangig. Hardenbergers mühelos scheinende Virtuosität, sein tief empfundenes Piano und der durch den gesamten Körper fließende Swing sind ein musikalisches Ereignis, an das ich mich noch lange erinnern werde.

Zweites Konzert der Festwochen zur Amtseinführung von Andris Nelsons

Gewandhausorchester

Håkan Hardenberger, Trompete

Andris Nelsons, Dirigent

Richard Wagner – Siegfrieds Tod und Trauermarsch aus „Götterdämmerung“

Bernd Alois Zimmermann – Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“

Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65

Freitag, 2. März 2018, Gewandhaus, Großer Saal


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