Zu wenig Inszenierungswille

Die Komische Oper Berlin zeigt „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold

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Szene aus „Die tote Stadt“ (Foto: Ilko Freese / drama-berlin.de)

Der erst 20-jährige Erich Wolfgang Korngold begab sich mit seiner Oper Die tote Stadt von 1920 mitten hinein ins undurchdringbare Gewirr des Unbewussten. Die Vorlage, der Roman Das tote Brügge (im Französischen Bruges-la-Morte) von Georges Rodenbach atmet in ihrer Morbidität und symbolträchtigen Vieldeutigkeit ganz den Geist des Fin de Siècle. Es ist „die Geschichte des trauernden Witwers Hugues Viane, der sich in Brügge niedergelassen hat und dort der Obsession zu einer Operndarstellerin erliegt, die seiner verstorbenen Ehefrau gleicht“, wie bei Wikipedia nachzulesen ist. „Das Buch ist die berühmteste literarische Beschreibung des in Bedeutungslosigkeit erstarrten alten Brügge, der einst reichsten Handelsstadt Nordeuropas.“

Eine Unmenge an Material hat Korngold den künftigen Regisseuren da an die Hand gegeben. Da wäre die Idealisierung der Frau und die Exklusivität der einen großen Liebe – Hauptfigur Paul hat seine Geliebte Maria verloren. Weiter eine morbide Atmosphäre, die durch eine irrationale Verehrung der Toten entsteht – Paul hat eine Art Mausoleum geschaffen, wo er seine Bilder und Reliquien Marias aufbewahrt. Die tote Frau wird mit einer toten Stadt assoziiert, das an Bedeutung verlorene Brügge als dingliche Entsprechung des Gemütszustandes von Paul. Die unterschwellige Spiritualität symbolistischer Kunst verpackt Korngold in Pauls aufgesetzter Frömmigkeit. Angesichts dieser Vielfalt und Farbigkeit des Plots geht man mit großen Erwartungen an die Inszenierung Robert Carsens, des „kanadischen Star-Regisseurs“, wie es in den Publikationen der Komischen Oper heißt, und wird enttäuscht.

Auf der Bühne erleben wir über weite Strecken ein reines Abspielen der Handlung in einem Salon der Entstehungszeit. Zentrales Element ist ein übergroßes Bett, was in verschiedenen Settings bespielt wird. Aber nicht, was man jetzt denkt, nein ,der erotische Gipfel der Inszenierung ist die Tänzerin Marietta in Unterrock, welche sich in hektischen Gefummel an Paul wirft. Die Wände des Salons lösen sich im Mittelteil und geben Raum für die Szenen der Tänzer und der religiösen Prozessionen. Nur die spätromantische von Strauß beeinflusste Musiksprache lässt die Intension Korngolds noch erkennen. Ekstatische Elemente pfeifen durch den Raum.

Manisch depressiv agiert Aleš Briscein in der Hauptrolle, wobei sein Tenor den extremen Aktionen nicht immer gerecht wird. Besser kommt Sara Jakubiak als Marietta mit der Partitur zurecht. Ihrem Sopran gelingt das riesige Spektrum zwischen rasender weiblicher Furie und beleidigter Geliebter. Ainārs Rubiķis hat die beiden Harfen oben im Parkett platziert, eine gute Entscheidung, da das straußsche Blech sich mächtig türmt im Graben. Das Orchester der Komischen Oper Berlin kommt damit mit der Komplexität wunderbar zurecht, die Bläser behalten selbst in den schrägsten Tuttis noch Transparenz und Durchhörbarkeit.

Da ist wirklich wenig Inszenierungswille zu erleben, und das Premierenpublikum rauscht nach einem Vorhang auch schnell davon. Sehr schade für die Komische Oper Berlin, die für ihre farbigen Inszenierungen bekannt ist.

Die tote Stadt

Oper in drei Bildern [1920]

von Erich Wolfgang Korngold

Libretto von Paul Schott, nach dem Roman Bruges-la-Morte von Georges Rodenbach

Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis

Inszenierung: Robert Carsen

Orchester, Chorsolisten und Kinderchor der Komischen Oper Berlin

Komische Oper Berlin, 30. September 2018


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