DOK Leipzig: „Autobahn“ von Daniel Abma zeichnet ein authentisches und universelles Porträt von einer Stadt, die gegen den Verkehrsinfarkt kämpft
„Die Fahrbahn ist ein graues Band.
Weiße Streifen, grüner Rand.“
(Kraftwerk, „Autobahn“)
Wenn eine Stadt ein „Bad“ in sich trägt, liegt die Kur nicht fern. Saubere Luft, heilende Quellen, einzigartige Natur? „Wissen Sie, Bad Oeynhausen wird auch die „Rollschuhfahrerstadt“ genannt, weil es hier nahezu keine Stufen gibt“, erzählt die Stadtführerin munter. Mit einer Bimmelbahn fährt sie umher, führt Touristen an die Hot Spots der Stadt. Überhaupt spielt Mobilität in dem DOK-Film Autobahn von Daniel Abma eine wichtige Rolle.
Malerisch ist in der nordrhein-westfälischen Mittelstadt jedoch schon lange nichts mehr. Tag für Tag rauschen mehr als 25.000 Fahrzeuge durch die Stadt. Sie smoggen Fassaden voll, lärmen unerträglich Stunde um Stunde und machen die Hauptstraßen zu einem gefährlichen, kaum passierbaren Nadelöhr. Der Kurpatient krankt und mit ihm all seine Bewohner_innen.
Im Jahre 2010 fasst die Stadt den Entschluss, dies zu ändern. Mit der Entscheidung für den Bau einer Umgehungsstraße entscheiden Bürgermeister & Co. gegen die Einwände einer Bürgerinitiative. „Also, wer das ausgetüftelt hat, das waren auf keinen Fall Leute aus der Umgebung.“
Schon an dieser Stelle des Films wird klar: Egal, ob Umgehung, Mitspracherecht oder nicht, mittelstädtisch bedeutet kleinbürgerlich, und unzufrieden sind alle irgendwie dennoch.
Über einen Zeitraum von acht Jahren begleiten die Zuschauer_innen verschiedene Einwohner_innen. Da ist die Besitzerin eines Stoff- und Häkelladens mit unmittelbarem Blick auf die Hauptstraße. Ein in die Jahre gekommener Jesus-Freak als lebende Missionarstafel. Der stets aufgeschlossene, aber strittige Bürgermeister. Und nicht zuletzt ein Seniorenpärchen mit Eigentumshaus. Sie alle eint die (un)gewollte Konfrontation – mit Baumaßnahmen, Verkehrslärm und kritisch bis humorvoller Betrachtung von Stadtentwicklung.
Asphalt, Leitplanken und Brückenbauten wandeln das umgebende Grün zu Grau. Teilstücke werden fertiggestellt, warten auf den Verkehrsanschluss. „Wie schön ist doch eigentlich diese Landschaft hier“, resümiert die Stoffladen-Besitzerin beim Gang auf einen der zahlreichen Schalldämme. Ihr Blick schweift, Sonnenstrahlen zeichnen windverwogen die Umgebung. „Und dann guckste hier und denkst: Scheiße!“
Immer wieder sind es solche Szenen, die der nüchternen Kameraarbeit darstellerischen Witz verleihen. Burghardt zeichnet ein Bild, das authentischer und zugleich universeller kaum sein könnte. Straßenbau, das heißt Alltäglichkeit, das heißt Umgang mit Umgänglichkeit. Bad Oeynhausen kann hierbei als Blaupause verstanden werden für ein Schicksal, das viele kleine bis mittelgroße Städte teilen.
Die Verheißung ist Entwicklung. Der Bürgermeister meint: „Das Leben der Menschen wird sich nachhaltig verändern.“
In diesem Sinne: Allzeit gute Fahrt!
Autobahn
Deutschland 2019, 85 Minuten
Regie: Daniel Abma
DOK Leipzig, Internationales Programm langer Dokumentations- und Animationsfilm
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