Rosamund Gilmore’s Inszenierung von Wagners „Rheingold“ ist ein düsterer Traum von der Sehnsucht nach Macht
„Das Rheingold“ als Vorabend von Richard Wagners „Ring“ ist der Prolog zu den weiteren drei Teilen der Nibelungensage. Diesem seltsamen deutschen Mythos um Macht, Liebe und Verrat, um „Recken“ und „Nibelungentreue“, der immer den Beigeschmack historischer Katastrophe mit sich tragen wird. Rosamund Gilmore entzieht sich in ihrer Inszenierung aber allen kritisch historischen Bezügen und widmet sich ganz der Poesie der Geschichte um den Göttervater Wotan und den Zwerg Alberich und ihrer Verstrickung in die Gier nach der Macht des Ringes, die alle menschlichen Gefühle zu unterminieren droht. Sie verwickelt uns in einen sinnlichen Alptraum, den man sich noch grotesker hätte wünschen können.
Eine leerstehende Villa? Ein Unterwasserschloss? Carl Friedrich Oberle hat einen düster-erhabenen Ort für Gilmores Inszenierung geschaffen: Eine hohe Halle mit Freitreppe und Podium, auf dem sich ein Tanz-Ensemble, gefangen in blauen Stoffgewändern, als Rheintöchter um sich selbst windet. Auf dem Fußboden verteilt: Skelettteile von Urfischen, Urtieren, als wären wir in einer Zwischenzeit, nach und vor der nächsten Katastrophe. Am Plafond ein Lichterbogen, der sowohl als Regenbogen über dem Rhein, als auch als Fenster in eine apokalyptische Umwelt dient. Unter diesem Podium versteckt sich Alberichs Welt (Kay Stiefermann). Er kriecht mit seinem erbeuteten Nibelungenschatz in eine Art Lüftungsgitter, das von nun an magisch glüht. Ist es der Schatz oder die Hölle? Verglüht Alberich gerade an seinem eigenen Machthunger, während über ihm die illustre Gesellschaft des Götterstandes tagt?
Die Figuren sind durch ihr Spiel aber auch durch die wahnwitzigen Köstume von Nicola Reichert wunderbar überzeichnet. Angefangen von der korpulenten Freia (Gal James), die die Götter durch ihre goldenen Äpfel mit ewiger Jugend versorgt. Sie strahlt mit ihrem Tütü-artigen, neonfarbenen Rock eine tölpelhafte Naivität aus. Während die Riesen Fasolt (Stephan Klemm) und Fafner (James Moellenhoff), die gekommen sind, um sie als Pfand einzubehalten, bis sie den Ring von Göttervater Wotan (Ian Peterson) erhalten, grausam, unheimlich und unverortbar wirken. Wie Figuren aus dem Comic „Little Nemo“: Kahle, graue Köpfe, hohe Hüte, abgetragene braune Anzüge. Sie tragen als Zeichen ihrer Macht einen rot-weiß gestreiften Stab, als hätten sie irgendwo eine Bahnschranke ausgerissen. Oder kämen direkt aus den verrückten Wimmelbildern der „Wo ist Walter?“ – Bücher. Etwas blass fallen dagegen die Hauptfiguren aus. Fricka (Katrin Göring) elegant in zurückhaltendem Grau und Wotan in einem blauen, langen Mantel. Sie betonen eher das Normale, während die Tänzer*innen mit Flügeln, Schädeln und Skelettteilen am Körper agieren.
Ulf Schirmer erschafft mit dem Gewandhausorchester einen wunderbaren Gleichklang mit dieser Inszenierung. Die Musik treibt die Handlung voran ohne dabei davon zu hetzen und zeigt dann wieder Momente großer Poesie mit hauchzart schimmernden Streichern. Leider muss sie ab und an gegen die Geräusche auf der Bühne ankämpfen: Patschendes Wasser, umfallende Protagonisten oder das Zerstören eines Walhalla-Modells. Das ist schade, aber nicht ganz vermeidbar. Die Leistungen der Sänger überzeugten an diesem Abend, wobei besonders die kleineren Rollen wie der Tenor Dan Karlström als Mime und die Mezzosopranistin Karin Lovelius als Erda besonders farbenreich und präzise wirkten. Sehr klug setzt Rosamund Gilmore neben den Gesangspartien die Tänzer*innen ein. Sie modulieren nicht nur die Übergänge und Umbauten zwischen den einzelnen Akten auf der stets offenen Bühne, sondern zeigen sich auch szenisch: Als Rheintöchter, geschundene Zwerge oder göttliche Raben. Besonders beeindruckend ist die Lösung für Alberichs Verwandlung in den Wurm. Sie wird zum teuflischen Tanz mit einzelnen tierischen Skelettelementen. Und schon ist der Wurm wieder eine herrliche kleine Kröte. Das muss man wirklich selbst sehen.
Dieser groteske Traum illustriert zwar „nur“ den Wagnerschen Text, findet aber dafür sehr originelle Lösungen. Unerwartete Bilder wechseln sich ab mit komischen Szenen, die leider oft in typischem Opernklamauk enden. Hier wünscht man sich eine groteske Zuspitzung, damit es wirklich lustig, abgründig und im besten Sinne „komisch“ werden kann. Dennoch werden die Konflikte der Geschichte Ernst genommen und es gelingt Rosamund Gilmore ein kurzweiliger und gleichzeitig anregender wie sehenswerter Abend, der Lust macht auf die nächsten Teile des „Ring des Nibelungen“: „Die Walküre“, „Siegfried“ und die „Götterdämmerung“.
Das Rheingold von Richard Wagner
Inszenierung von Rosamund Gilmore, Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Mit: Karin Lovelius, Gal James, Marina Prudenskaya u.a.
15. Januar 2020, Oper Leipzig
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