Pubertät statt Psychodrama

In der Uraufführung von E. L. Karhus „Eriopis – Medeas überlebende Tochter erzählt alles” vermischt Regisseurin Anna-Sophie Mahler Theater-, Performance- und Opernelemente und bringt doch keine Tiefe in den modernen Medea-Mythos

Julia Berke (links) und Yuka Yanagihara verschwestern sich als Popcorn essende Doppelmedea gegen Jason (Michael Wilhelmi). (Foto: Rolf Arnold)

Die finnische Autorin E.L. Karhu, die schon 2017 mit “Prinzessin Hamlet” in der Diskothek des Schauspiel Leipzig Premiere hatte, legt nun mit “Eriopis – Medeas überlebende Tochter erzählt alles” wieder eine Überschreibung eines klassischen Repertoirestückes vor. Die Idee, andere weibliche Perspektiven aus den Motiven dieser Texte zu entwickeln, könnte Spaß machen und die Köpfe verdrehen, doch was sich schon in “Prinzessin Hamlet” als psychotische Dauerschleife zeigte, wodurch man sich als Frau seltsam unterbestimmt fühlte, führt in “Eriopis” jetzt wieder zu einer Eindimensionalität: Der Zuständlichkeit einer im Schmerz vergrabenen jungen Frau, um die herum ein allzu lustiges Setting mit Schlittenhundefarm und eingefrorenen Touristen gebaut wird. Der Text verweigert auf diese Weise konsequent die Auseinandersetzung mit seiner Hauptfigur Eriopis, was beim Zuschauer allerhöchstens Ratlosigkeit zurücklässt.

Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler hat sich für diesen Abend ein interessantes Ensemble zusammengestellt: Die Schauspielerin Julia Berke, die Sopranistin Yuka Yanagihara und der Musiker Michael Wilhelmi. In dem verwinkelten Whitecube von Katrin Connan, der sowohl Folterkammer- als auch Atelieraspekte zeigt, schickt sie Julia Berke als androgyne Medea in Anzug und schwarzer Bobfrisur zu ihrer Tochter Eriopis in den Ring und lässt sie die Umstände des Kindsmordes erzählen. Dieser findet nicht wie im Mythos in Korinth, sondern auf einer Schlittenhundefarm in Finnland statt, auf die sich Medea nach der Trennung von Jason mit ihren Kindern zurückgezogen hat. Sie erwürgt ihre Zwillinge, nachdem sie sie mit ihren Beruhigungsmitteln ruhiggestellt hat, setzt sie in einen Hundeschlitten und fährt mit ihnen davon, während die Tochter Eriopis zurückbleibt und schließlich zu ihrem Vater nach Helsinki zieht.

Schauspielerin Yuka Yanagihara (Foto: Rolf Arnold)

Das war’s dann auch schon. Doch das vergisst man, weil man Yuka Yanagihara so gerne zusieht, wie sie die schweigsame Eriopis spielt, die Verstörung, den Schmerz, der immer wieder in Operngesang übergeht. Wenn sie mit offenem Mund in die Kamera sabbert, singt, sich die Zunge abschneidet, übertritt sie auf minimalistische Weise die Grenzen des visuell Zumutbaren. Auch Julia Berke gelingt es, in einer Mischung zwischen Entertainerin, androgyner Therapeutin, sorgender Mutter auf leichte weise durch den Abend zu führen, der für sie als einziger Erzählfigur fast zum Solostück wird, während Jason (Michael Wilhelmi) mit goldig scheinendem Haar im weißen Anzug schweigend am Klavier hockt und einen selbstverliebten, emotional versiegelten Vater gibt. Eine gute Parodie, stände sie nicht in einem solchen Ungleichgewicht zur existenziell leidenden Tochterfigur. So wirkt es manchmal eher, als seien Männer sowieso blöd und auch das Vorzeigen abstrakter Genitalien, blutiger Binden, Kondome wirkt eher pubertär als radikal: Wenn Yuka Yanagihara Kunstschamhaar auf einer Strumpfhose abfilmt oder ihre mit der Gummimembran eines Kondoms bedeckten Lippen vorzeigt. Wenn Julia Berke mit Kunstblut auf einer Binde herumträufelt. Ist denn nur das Sexuelle die Besonderheit des weiblichen Blicks? Dazu gehört textlich, das Eriopis, alleingelassen auf der Hundefarm, tagelang mit allen Gegenständen in der Wohnung vor sich hin masturbiert und dass sie, als sie nach einem unglücklichen Aufenthalt bei ihrem Vater auf die Hundefarm zurückkehrt, die jungfräulichen Kinder der Touristen befingert.

Auch wenn es daneben ab und an um die mediale Inszenierung menschlichen Leids geht, gewinnt das Stück nicht die Reife und Stärke, die es entwickeln könnte, würde man wirklich in die Tiefe der Figuren und der Frage von Wahrheit und deren Inszenierung abtauchen. So klammern sich Autorin und Regisseurin an Humor und Effekt und an die “eingefrorenen Touristen”, die an diesem Abend immer wieder einen Lacher Wert waren.

Eriopis (UA). Medeas überlebende Tochter erzählt alles

von E. L. Karhu
Regie: Anna-Sophie Mahler

Premiere 7. März 2020, Schauspiel Leipzig

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