Der doppelte Disruptor

Wolfgang Fach analysiert in seinem neuen Buch die weltpolitische Reichweite US-amerikanischen Wählerverhaltens

Er war verhaltensauffällig als Kind, neigt zu Gewaltausbrüchen. Daraufhin kommt er auf ein militärisches Internat, will zum Militärdienst. Aber die lehnen ihn trotz gesundheitlicher Tauglichkeit vier Mal ab. Er liebt Models, hat schließlich fünf Kinder von drei Ehefrauen. Seine erste Ehefrau verklagt ihn wegen Vergewaltigung. Im Alter von 25 Jahren erhält er von seinem Vater die Verantwortung über 14000 Sozialwohnungen und 1 Millionen Startkapital. In den 70ern wird er wegen Rassendiskriminierung verklagt, weil er sich weigert, die Wohnungen an Afro-Amerikaner zu vermieten. 2016 waren er und seine Firmen in 3500 Gerichtsverfahren verwickelt, davon in 1900 als Kläger. Er hat Millionen in den Sand gesetzt und weigert sich, Steuern zu zahlen. Seine politische Richtung ist mehr als unklar und wankelmütig. Er steht für Populismus, Protektionismus, Narzissmus, Verschwörungstheorien und Liberalismus. Er war sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern Parteimitglied. Mit letzteren wurde er ins Präsidentenamt gehoben. 2019 gibt es ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn. Die Rede ist von Donald Trump.

Wolfgang Fach, inzwischen emeritierter Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Leipzig, hat ein Büchlein über diesen „Vollblutamerikaner“ geschrieben mit dem bezeichnenden Titel: Trump. Ein amerikanischer Traum? Warum Amerika sich verwählt hat. In neun Kapiteln plus zwei Rahmenkapiteln widmet sich Fach aber nicht der Figur Trump, sondern der Sehnsucht des amerikanischen Volkes nach Heldengestalten. Die sucht Amerika nicht erst mit der letzten Wahl, sondern seit Beginn der Staatsgründung.

Individuum gegen Staat – Chaos gegen Verwaltung

Fach spürt in seinem 124-seitigen Büchlein, das im Transcript-Verlag 2020 erschienen ist, der amerikanischen Mentalität nach, die sich so ganz von einer z.B. Mentalität der Deutschen unterscheidet. Genau aus diesem Grund setzt Fach auch Hegels Staatsidee dem amerikanischen Traum kontrastiv entgegen. Denn während in Hegels Staatsidee das Individuum in der Lösung von Aufgaben verschwindet, ist in Amerika der Staat zwar da, aber nicht gefragt, weil man im Zweifelsfall dem starken Mann mehr zutraut. Denn – so lernt man bei Fach – wahre Amerikaner sind Helden, ob Anführer oder Vorbilder. In Hegels Gesellschaftsideal indess kann es keine Helden geben, denn für ihn kommen diese nur in einem ungebildeten Zustande des Staates vor. Für Hegel ist der öffentliche Zustand einer Gesellschaft nämlich umso vollkommener, je weniger dem Individuum zu tun übrigbleibt, denn Vater Staat wird es weise richten – und zwar avant le lettre und antizipierend.

Der Autor eröffnet ein Narrativ, das suggeriert, dass die amerikanische Mentalität logischerweise und zwingend zu einer Person wie Donald Trump im Präsidentenamt führen muss. Trump sei kein Unfall gewesen, heißt es im Buch. Dabei ergibt sich die Mentalität vor allem aus der enormen Weite des Landes, aus der Farmer-Seele, der sich selbst behelfen muss, eher auf die kommunale Gemeinschaft als auf eine ferne Staatsmacht zählt. Und tatsächlich war es jahrhundertelang so, dass für alle alltäglichen Belange sich die Menschen selbst behalfen und nur in außenpolitischen oder in Subventions-Dingen in die unterstützende Hand des Staates eingeschlagen wurde. Daher kam man lange Zeit auch ohne einen eingreifenden Staat aus; es reichten ein unterschreibender Präsident, ein Außenminister und ein Finanzminister. Auf die Verwaltung des Staates nach den bürokratischen Vorbildern der alten Welt wurde in der neuen verzichtet.

Doch als Amerika Ende des 18. Jahrhunderts im Welthandel die Felle davonzuschwimmen drohten, war mit der Friedens- und Agrar-Idylle Schluss. Es gab eine radikale Kehrtwende hin zu Kommerz und Fortschritt. Dies allerdings führte auch zur Kehrseite: Denn wenn man auf dem Weltmarkt mitmischen will, führt das auch zu Konflikten. Die amerikanische Antwort auf die neuen Herausforderung: die Suche nach einem starken Mann, der das Land verteidigen und Kriege führen kann. Dafür hat sich Amerika mehrfach Vorbilder in der alten Welt und Asien geholt, denn deren zentralistische Staatsgestaltung hat auch Vorteile. Doch richtig gegriffen haben entsprechende Reformen bis heute nicht. Wolfgang Fachs Diagnose für dieses Problem: Die Ungleichzeitigkeit der Einführung von demokratischen Strukturen und der Aufbau des Verwaltungsapparates.

Die Suche nach dem mittelalterlichen Helden-König

Letztlich – so Fachs Resümee – kommt Amerika nicht aus seiner Vorstellung heraus, dass der Anführer des Landes eine Art Königs-Ersatz sein muss. Amerika sucht nach wie vor einen Helden, egal, ob dieser weise oder dumm, charakterfest oder wankelmütig ist. Es kann sein, dass das amerikanische Volk Glück hat mit seinem Präsidenten. Dann hat es Washington oder Roosevelt gewählt. Es kann aber auch sein, dass es Pech hat. Dann hat es eben Bush, Reagen oder Andrew Jackson gewählt. Denn letztlich wird nicht Kontinuität in der Politik und im Präsidentenamt gewählt, sondern ein König, der als Retter auftritt.

Von Andrew Jackson, der 1829 zum Präsidenten gewählt wurde, hat Donald Trump, der sich bekanntlich für ein Super-Genie hält, sogar ein Porträt in seinem Arbeitszimmer hängen. Das kommt nicht von ungefähr, denn charakterlich ähneln sich beide enorm: Auch dieser war cholerisch, despotisch, hielt sich nicht an Regeln und überging seine Mitarbeiter. Und ebenso wie Jackson hält sich Trump für einen Atlas, einen Übermenschen, der den Staat zerstört, um die Welt zu retten. Denn mit Trump steht für Amerika tatsächlich alles auf dem Spiel: von der Finanzpolitik bis zum Gesundheitswesen und der Sozialpolitik. Und er glaubt, dass alles allein von ihm abhänge, dem starken Mann, der „Amerika great again“ machen und den Sumpf austrocknen will („to drain the swamp“) . Doch weder kommt Amerika durch Maßnahmen wie „Amerika first“ in der gegenwärtigen Corona-Krise unbeschadet durch, noch haben Korruption und Nepotismus in seiner Amtszeit abgenommen, im Gegenteil.

Resümee

Wolfgang Fachs Büchlein begann mit dem Kapitel „1: Die Einsicht: An idiot“. Es endet mit dem Kapitel „11. Die Aussicht: Global idiocy“ und den Worten: „Amerika hat Donald Trump ermöglicht und die Welt damit um ein Risiko bereichert: größte Macht und größter Wahn fallen seither zusammen.“ (S. 113) Donald Trump ruiniert mit seiner trampligen Arten nicht nur alle Kunst politischen und diplomatischen Umgangs, sondern zerstört gegenwärtig auch alle politischen und diplomatischen Denk- und Handlungsstrukturen: Indem er die mühsam über 200 Jahre geschaffene Weltpolitik durch bilaterale Verhandlungen unterminiert, zerfällt die Möglichkeit internationalen Handelns wieder in die Hände einzelner Akteure und Nationen. Größere weltpolitische Ziele wie Klimapolitik, Entwicklungspolitik, Flüchtlingspolitik und Ökologie werden damit zunichte gemacht. Und alle müssen zugucken. Fach hat leider damit recht: Wir sind Zeugen einer doppelten Disruption, an deren Ende die Weltgemeinschaft als Idiot dasteht, die den Idioten nicht verhindern konnte.

Wolfgang Fach: Trump. Ein amerikanischer Traum? Warum Amerika sich verwählt hat

Bielefeld 2020

Transcript Verlag

214 Seiten

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