DOK Leipzig: „Joy“ von Daria Slyusarenko erzählt vom Leben in einem Wanderzirkus
Zirkus! Eine Traumwelt aus exotischen Tieren und waghalsigen Artisten. Große, staunende Kinderaugen und ein freies, selbstbestimmtes Vagabundenleben. Das ist das Bild, was man vor nicht allzu langer Zeit von dieser Gilde hatte. Doch dem Zirkusgeschäft geht es schlecht, das Interesse der Zuschauer hat nachgelassen. Ein vielfältiges Freizeitangebot und digitale Unterhaltungsmedien haben die Aufmerksamkeit der Menschen für sich vereinnahmt. Die schillernde Zirkuswelt ist längst einem anderen Bild gewichen.
Der russische Wanderzirkus „Joy“ tourt in kleinen Städten und Dörfern. Dort finden sich noch ein paar Zuschauer, auch, wenn man diese im Film nie sieht, sondern lediglich hört. Im Fokus stehen vielmehr vier Protagonisten, die von der Regisseurin hautnah begleitet werden. Ohne zu kommentieren oder einzugreifen, begleitet die Kamera das Geschehen. Dabei erfahren wir nicht viel über den Lebenshintergrund der Zirkusleute, sondern folgen ihnen eher in ihrem Lebensalltag.
Das Tierdressur-Pärchen ist scheinbar schon längere Zeit mit diesem Zirkus unterwegs. Ihre Nummern bestreiten sie mit Vögeln, Luchsen und Kaninchen. In billigen Glitzerkostümen lassen sie die Tiere hüpfen und springen. Von einem netten Umgang kann nicht die Rede sein. Die Tiere werden geschunden, damit sie funktionieren. Eine liebevolle Bindung ist nicht vorhanden. Gleiches gilt scheinbar für das Paar selbst. Ständig gibt es Zank und Diskussionen zwischen den beiden. Entweder weil das Brot zu alt und ungenießbar ist oder die Tiere gefüttert werden müssen, alles ist mit harschen Worten und Anschuldigungen verbunden.
Der Clown des Zirkus hat es nicht sehr viel besser. Er ist allein, bekommt aber bald Verstärkung. Eine Clownin, die lange in Europa getourt ist, gesellt sich zu ihm, um einen gemeinsamen Auftritt einzustudieren. Er ist sofort Feuer und Flamme und sieht mehr als nur eine berufliche Verbindung. Leider ist dies nur einseitig und auch die gemeinsame Darbietung wird zunehmend davon überschattet.
Daria Slyusarenko zeigt uns in Joy die prosaische Welt des Zirkus. Sie ist nicht nur auf dem Wagenplatz präsent, sondern auch in der Manege. Eigentlich gibt es nirgends mehr Glanz. Und die Trinkgelage am Abend sind scheinbar auch nur dazu da, um die öde Realität zu ertragen.
Das ist nicht immer schön anzusehen, bietet aber einen sehr realistischen Einblick in die Lebenswirklichkeit.
Aus jetziger Perspektive bekommt das Ganze noch eine weitere Wendung: Auch Zirkusdarbietungen sind in der Coronapandemie neben anderen Kulturveranstaltungen zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Wie ergeht es den Menschen damit? Dieser Gedanke schwingt immer ein bisschen mit.
Das diesjährige DOK Leipzig hat in diesem Ausnahmejahr versucht, das Beste aus der Situation zu machen: eine hybride Festivalausgabe. So gibt es die Möglichkeit Joy noch bis zum 14. November als Video-on-demand zu sehen. Das gilt auch für alle anderen Festivalbeiträge. Das lohnt sich allemal, auch wenn natürlich die heimische Glotze niemals mit einer echten Festivalatmosphäre mithalten kann. Trotzdem: Hoch lebe der Dokumentarfilm!
Joy
Russland 2020, 63 Minuten
Regie: Daria Slyusarenko
Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm
Kommentar hinterlassen