Roland Barthes … verzweifelt gesucht

Büchersonntag, Folge 3: Laurent Binets Roman „Die siebte Sprachfunktion“ changiert zwischen Wahrheit und Dichtung

Im Frühjahr 1980 wird in Paris nach einem Dinner mit dem Kandidaten für das Amt des französischen Präsidenten, François Mitterand, der berühmte Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes auf offener Straße überfahren. Von einem bulgarischen Wäschelieferanten. Dabei verschwindet ein mysteriöses Manuskript, das er bei sich trug. Michel Foucault, der als Passant zufällig Zeuge des Geschehens wird, behauptet, dass dies aber kein Unfall, sondern Mord war.

Wilde Jagd durch Europa

Der Tod des Autors stellt Kommissar Bayard vor viele Rätsel. Um diesem auf die Spur zu kommen, engagiert er einen jungen Sprachwissenschaftler als Assistenten, der im Entschlüsseln von sprachlichen Zeichen besonders begabt ist. Kommissar Bayard und sein Assistent Simon Herzog ziehen nun durch Paris auf der Suche nach dem Mörder und dem Manuskript, gefolgt vom bulgarischen Geheimdienst, zwei mysteriösen Japanern und einer hübschen Krankenschwester. Die beiden geraten des Weiteren in eine mittelalterlich anmutende Geheimgesellschaft, folgen amüsanten Irrwegen zum Philosophen und Semiotiker Umberto Eco nach Bologna, geraten in eine Orgie mit berühmten französischen Intellektuellen auf dem Campus der Cornell University im Staat New York und nehmen an geheimen Rhetorik-Wettkämpfen in Venedig teil, wo sie nicht nur ihre Finger riskieren. Schließlich gelingt es dem Ermittlerduo, dem Geheimnis des Manuskripts auf die Spur zu kommen, der magischen siebten Sprachfunktion.

Der französische Autor Laurent Binet schafft in seinem bereits fünften Roman etwas Aberwitziges: Er parodiert die gesamte hochkarätige französische Philosophen-Personnage, spielt mit ihren Theorien, verfremdet deren berühmte Zitate und lässt sie sich in einem irrealen Verfolgungsspektakel verwickeln. Rausch- und Sexabenteuer geben dem Ganzen einen erotischen Drive. Schließlich nimmt der Roman zum Ende hin ordentlich an Fahrt auf und bekommt so zum Teil schon klamaukige Züge. Fast fühlt man sich in einen hektischen Luis-de-Funès-Film hineinversetzt. Wer also einmal die gesammelte französische Philosophen-Elite in einem Buch versammelt, sich dazu brillant und mit Esprit unterhalten und dazu noch einen mystisch-magischen Agenten-Krimi lesen möchte, dem sei Laurent Binets Roman Die siebte Sprachfunktion anempfohlen. Nebenbei lernt man en passant einiges über das verwickelte Verhältnis von Macht und Sprache.

Grandiose Grenzverletzung

Laurent Binet, Jahrgang 1972, hat in Prag Geschichte studiert. Bereits sein 1. Roman HHhH gewann 2010 den Prix Goncourt du Premier Roman und wurde von der „New York Times“ zu den 100 besten Büchern des Jahres 2012 gewählt. Die siebte Sprachfunktion war in Frankreich ein Bestseller und wurde mit dem Prix Interallié und dem Prix du Roman Fnac ausgezeichnet und kongenial von Kristian Wachinger ins Deutsche übersetzt. Binet hat dabei etwas gemacht, das normalerweise nur schiefgehen kann: Er hat einen hintergründigen, temporeichen Fiktion voller Esprit und Augenzwinkern über die berühmte reale Philosoph-Szene Frankreichs – von Sartre bis Derrida – geschrieben. Indem sich der Roman zwischen Wahrheit und Dichtung bewegt, hat er die Grenzen von Kunst und Wirklichkeit verschwimmen lassen. Diese Grenzverletzung ist ihm grandios gelungen.

Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion

Rowohlt 2017

525 Seiten

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