„Kultur im digitalen Raum wird sich in den kommenden Jahren als eigenständige Kulturform entwickeln“

Das Kulturinterview, Folge 4: Constanze Müller, Geschäftsführerin des D21 Kunstraum, über Radio-Prophezeiung, Digitalisierung und das Wegkommen vom Hamsterrad.

Constanze Müller, Geschäftsführerin des D21 Kunstraums (Foto: Michael Moser).

Wie geht es nach der Verlängerung des Kultur-Lockdowns weiter mit Bühnen, Kinos, Galerien, Ausstellungen, Lesungen und Konzerten? Mit welchen Ideen und Konzepten passen sich Leipzigs Kulturschaffende an die Corona-Maßnamen an? Und welche Kraft steckt noch in ihnen nach den monatelangen Durststrecken? In unserer Reihe „Das Kulturinterview“ fragen wir Kulturschaffende in Leipzig, was sie zurzeit bewegt. Diesmal: Constanze Müller, Geschäftsführerin des D21 Kunstraums in der Demmeringstraße.


Leipzig-Almanach: Zwar durften die Museen in Sachsen wieder öffnen, nach einem Inzidenzwert jenseits von 100 sind die Ausstellungshäuser jedoch mittlerweile wieder teilweise mit Schließungen konfrontiert: Wie ist der aktuelle Stand im D21 Kunstraum?

Constanze Müller: Nach den derzeitigen Regelungen sind Museen und Ausstellungen von Schließungen ab einem Inzidenzwert von 100 ausgenommen. Das sind sehr gute Nachrichten, werden hier doch endlich die Erkenntnisse zum Ort des Infektionsgeschehen berücksichtigt.

Wir haben am 17.04.2021 den Kunstraum mit der ersten Ausstellung in diesem Jahr vorsichtig eröffnet und möchten natürlich auf Nummer sicher gehen: Nur zwei Personen dürfen gleichzeitig im Raum sein, man kann nur nach Anmeldung den Raum betreten und muss einen tagesaktuellen Negativ-Test vorlegen. Natürlich neben den bereits bekannten Hygienemaßnahmen.

Was war für euer Team im zweiten Lockdown möglich? Gab es digitale Angebote? Wie sahen sie aus?

Im zweiten Lockdown hatten wir das große Glück, unwissentlich sehr prophetisch gewesen zu sein. Bereits seit 2019 haben wir die Ausstellung „Anybody out there?! – 100 Jahre Radio in Deutschland“ geplant, zu der wir im D21 Kunstraum ein Radiostudio eingerichtet haben und von dort Radiokunst nach Lindenau, nach Leipzig und in die gesamte Welt gesendet haben. Natürlich haben auch wir aufgrund von Corona Umplanungen bezüglich des Aussehens der Ausstellung vornehmen müssen, dennoch konnten wir „öffnen“, da im Grunde niemand den Kunstraum betreten musste, um die Kunst erleben zu können. Das konnte man vom heimischen Radio am Küchentisch. Wir haben dadurch eine sehr große Aufmerksamkeit erhalten können, da sonst wenig Kultur los war. Viele Menschen haben uns gedankt, dass wir das machen.

Gleichzeitig planen wir jedoch in Vorbereitung auf einen möglichen dritten Lockdown digitale Formate wie Symposien oder Führungen, da wir trotz Beschränkungen gern Kunst und Diskurs anbieten möchten. Austausch ist doch sehr wichtig in diesen krisenhaften Zeiten! Insbesondere die 9. Ausgabe des für Juni/Juli geplanten F/stop – Festival für zeitgenössische Fotografie werden wir nun in einer hybriden Form durchführen – wir zeigen die Kunst in Leipzig analog, die Auseinandersetzung darüber wird jedoch online stattfinden.

Der D21 Kunstraum als Radiostudio: die Ausstellung „Anybody out there?“ (Foto: Michael Moser).

Wie stark hat der Kunstraum seit Anfang November 2020 (Beginn des 2. Lockdowns) gelitten, und welche Spuren werden voraussichtlich bleiben?

Die Pandemie hat auf zwei Ebenen Spuren hinterlassen. Zum Einen sind die permanenten Umplanungen oder Mehrfachplanungen in Form verschiedener Ausstellungsvarianten anstrengend und binden viel Kommunikationsarbeit. Andererseits bedeuten natürlich auch die Hygienekonzepte Mehrkosten und planerischen Aufwand, da man viele Informationen erst lange recherchieren, ständige Neuregelungen wieder ins Konzept integrieren und mit den Gegebenheiten abstimmen muss.

Auf der anderen Seite spüren wir bereits eine finanzielle Anspannung, die sich sicherlich in der Zukunft noch verschärfen wird. Auch wenn relativ viele neue Programme zur Kulturförderung aufgelegt wurden, zielen sie zumeist weniger auf den Erhalt und die Unterstützung unserer eigentlichen Arbeit als vielmehr auf die Entwicklung von digitalen Formaten ab. Hierbei sehe ich eine Schieflage in der Wahrnehmung, denn Kultur im digitalen Raum wird sich meines Erachtens in den kommenden Jahren als eigenständige Kulturform entwickeln, die möglicherweise sogar neue Berufe hervorbringen wird. Derzeit werden sie aber als Ersatz der „analogen“ Arbeit gedacht und bringen uns Kulturmacher dazu, nun neue Formate zu entwickeln, die uns aber von unserer eigentlichen Arbeit abbringen. In der Zukunft werden ja beide Formen nebeneinander bestehen, denn wir merken doch schon jetzt, dass bestimmte Wahrnehmungen nicht ins Digitale überführt werden können – zum Beispiel die Materialität einer Kunstwerks wie Geruch oder Haptik.

Was sicherlich bleiben wird, ist die gelernte Flexibilität auf kurzfristige Änderungen dennoch gelassen zu reagieren und neue Lösungen zu finden. Gleichzeitig erkennen wir jedoch auch, dass wir bestimmte Dinge ändern müssen und dafür andere stärken – Krisen zeigen einem ja immer viel deutlicher, was nicht funktioniert und was erhalten werden sollte.

Gab es die Möglichkeit finanzieller Hilfen und, falls ja, was taugen sie? Wie beurteilt ihr das Antragsprozedere?

Da der Besuch unserer Ausstellungen stets kostenfrei ist und wir keine weiteren Einnahmequellen haben, hatten wir auch keine Einkommensausfälle um Soforthilfen beantragen zu können. Die öffentlichen Förderer unserer Projekte wie das Kulturamt der Stadt Leipzig oder die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen haben sich im Ausreichen und Anpassen der bereits bewilligten Fördermittel sehr flexibel gezeigt. So konnten Projektzeiträume unkompliziert verlängert oder ganze Projektinhalte umkonzipiert werden. Das hat uns sehr geholfen, die Projekte am Ende doch noch umzusetzen. Zum Glück mussten wir kein einziges unserer geplanten Projekte absagen. 

Sieht sich der D21 Kunstraum mit bleibenden Schäden und Folgen konfrontiert? Was, glaubt ihr, sollte politisch geschehen, um dem vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken?

Möglicherweise werden sich die pandemiebedingten neuen Verhaltensmuster langfristig auf unseren Umgang mit Kultur auswirken. So zum Beispiel die Tatsache, dass viele Diskussionsformate wie Konferenzen oder Workshops in den digitalen Raum verlegt werden. Dies ermöglicht eine viel unkomplizierte Teilnahme ohne hohe Reisekosten für viel mehr Menschen. Interessierte können einfacher zusammenfinden und sich austauschen. Das sind positive Entwicklungen.

Gleichzeitig hat die Pandemie jedoch die geringe Wertschätzung unserer Gesellschaft für ihre Kultur offenbart. Und es muss Aufgabe der Politik sein, hier einen Paradigmenwechsel anzustreben und Kultur als „systemrelevant“ in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern. Gleichzeitig muss die Politik Strukturen schaffen, sodass nötige Transformationsprozesse, die durch die Pandemie angestoßen oder auch bereits davor offensichtlich wurden, geleistet werden können. Wir sind mitten in einem großen, globalen gesellschaftlichen Umbau, bei dem Werte wie Nachhaltigkeit, Inklusion, Transparenz und Teilhabe Ziele sein müssen. Diese Entwicklung können Kulturschaffende und Institutionen nicht ohne Unterstützung meistern. Die Politik muss hier durch Veränderungen in den Förderprogrammen, in der sozialen Absicherung oder auch in der Einbindung von Kultur für diesen Transformationsprozess Weichen stellen und diesen begleiten.

Wir als D21 Kunstraum sind Teil dieses Prozesses und werden diese Veränderungen auch in unser Agieren einfließen lassen. Wir diskutieren aktuell über ein Wegkommen vom Hamsterrad des ständigen Projektemachens hin zu einer „Weniger ist mehr“-Haltung, indem unsere durchgeführten Projekte durch Diskussionsformate viel vertiefter, reflektierter und zeitlich einfach länger erfahrbar werden. Daran gekoppelt wollen wir Projekte in Zukunft viel ressourcenschonender und fairer durchführen als in der Vergangenheit. Insgesamt versuchen wir die „Krise“ als Impuls für Neuerungen zu verstehen und negative Erfahrungen in positive Vorhaben zu transformieren.

Worauf hofft ihr noch 2021? Wie und womit plant und rechnet ihr? Möchtet ihr einen Ausblick auf 2022 wagen?

Für 2021 hoffen wir, dass die geplanten Projekte zu unserem hochaktuellen Jahresthema „Human Nature“ finanziell unterstützt werden und wir diese durchführen können. Leider kämpfen wir gerade noch, aufgrund fehlender Fördermittel, zwei Projekte nicht absagen zu müssen. 

Gleichzeitig wollen wir die 9. Ausgabe des F/stop Festivals durchführen, das wir seit letztem Jahr als Träger übernommen haben. Sicherlich wird es kein normales Festival werden können, aber wir hoffen damit, unsere Pläne vorantreiben zu können, Leipzig als Stadt der Fotografie stärker zu setzen und Partner, die sich in der Stadt mit Fotografie beschäftigen, zusammenzuführen.

Wir rechnen damit, dass wir bis Ende dieses Jahres auf jeden Fall noch mit Hygienekonzepten jonglieren und stets flexibel sein müssen, unsere Projekte den Gegebenheiten anzupassen. Wir hoffen aber, dass es sich im Frühjahr 2022 soweit gelockert hat, dass mehr Menschen wieder physisch zusammenkommen können und wir unsere Projekte zum Jahresthema „Ausnahme_Zustände“ durchführen können. Wir hoffen, mit diesem Thema dann bereits eine Art Reflexion auf die Vergangenheit zu wagen um daraus wieder neue Impulse für die Gegenwart und Zukunft abzuleiten.

Kunstraum D21: https://www.d21-leipzig.de/

Die Fragen stellte Philipp Köhler.

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.