Büchersonntag, Folge 7: Jo Baker gelingt mit ihrer Beckett-Geschichte eine lebensechte Perspektive auf den Alltag in Europa während des Zweiten Weltkrieges
Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist Samuel Beckett zu Hause in Irland. Vor dem Krieg hat er sich im Dunstkreis des skandalumwitterten James Joyce in Paris aufgehalten. Seiner Mutter war das jedoch immer ein Dorn im Auge. Als Beckett die Vorwürfe nicht mehr aushält, packt er seine Koffer und geht zurück zu seinen Freunden und zu seiner Geliebten Suzanne in das immer mehr in den Krieg verwickelte Paris. Das Überleben in einer immer feindlicheren Umgebung wird aber zur Herausforderung – menschlich und künstlerisch.
Das literarische Ausfüllen einer biographischen Lücke
Dass Samuel Beckett in den 30er-Jahren durch Nazideutschland reiste und im Zweiten Weltkrieg in der Résistance aktiv war, hat er lange verschwiegen. Das ist nicht verwunderlich, galt der Nobelpreisträger doch als eigenbrötlerischer, eher unpolitischer Autor. Erst in jüngster Zeit wurde mit der Veröffentlichung einiger Briefe und Tagebücher dieser Abschnitt in Becketts Leben ausgeleuchtet. Die Autorin Jo Baker aus Lancashire nähert sich in „Ein Ire in Paris“, ihrem biografischen Roman über Becketts Pariser Zeit, dem rätselhaften Schriftsteller über die dunklen Jahre seiner künstlerischen Anfänge an. Sie führt anschaulich vor Augen, wie die entbehrungsreichen Kriegsjahre und das endlose Warten auf ein Ende Becketts Werk offenbar nachhaltig geprägt haben. Jahrzehnte nahm es Gestalt an mit dem weltberühmten Titel „Warten auf Godot“.
Das Interesse von Schriftstellern an Schriftstellern
Jo Baker studierte an der Oxford University und der Queen’s University in Belfast, wo sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Roman „Im Hause Longbourn“, in dem sie ebenfalls einen Schriftstellerstoff aufgreift. Sie erzählt nämlich die Geschichte von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ aus Sicht der Dienstboten und zeigt damit, dass hinter jeder gekochten Mahlzeit, jedem geflickten Rock und jeder überbrachten Nachricht Menschen aus Fleisch und Blut stecken, deren Dramen jenen der Herrschaften in nichts nachstehen. Damit gibt sie all jenen eine Stimme, die auch in den Erzählungen der Großen allzu oft im Hintergrund bleiben, stumm und ohne Stimme bleiben.
Beckett als geschichtlich verhinderter Schriftsteller
In „Ein Ire in Paris“ beschreibt sie die Ereignisse um Samuel Beckett vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Beckett ist mit seiner Geliebten Suzanne auf der Flucht vor den Nazis. Die Ereignisse zwingen ihn zu Umwegen und Rückkehren, zu Schreibblockaden und vorübergehenden Aufgabe des Schreibens aus Überlebenskampf überhaupt, zu Grenzübertretungen und letztlich zur gemeinsamen Gegenwehr gegen die Nazis in der Resistance. Die metonymische Aufnahme der Orte spiegelt das Verhältnis von Heimat und Sehnsuchtsort wider.
Das Buch folgt dem elegischen Grundton Becketts, der den schönen Tagen nachklagt, die ihn im Kreis von James Joyce zu dessen Vertrautem gemacht hatten. Dem legendären Schriftsteller nachzueifern, versetzt ihn gleichzeitig in Schreibstarre. Er sucht Joyce, das Leben vor dem Krieg, findet aber immer nur von ihm verlassene Orte vor. Schließlich muss er selbst vor dem Einmarsch der Nazis fliehen. Und obwohl er seiner Geliebten Suzanne keinen Heller nach Hause bringt, unterstützt diese ihn, wartet auf ihn, bleibt ihm treu und nimmt Krankheit und Qualen während der gemeinsamen Flucht immer wieder auf sich.
Die Lücke in Becketts Biographie
Schließlich geraten sie in Vaucluse an einen Ort mit Menschen, die sich endlich wehren können. Die Zeit ist reif. Das endlose Warten hat ein Ende. Endlich kann man sich gegen den Wahnsinn wehren. Und das tut Samuel, indem den Codes aus dem Radio Leben eingehaucht wird, Sprengstoff verteilt wird und die alliierten Streitkräfte in der Nähe von Fréjus landen. Von Irland werden Lebensmittel verschickt, um den Franzosen zu helfen. Ein Wiedersehen mit der Mutter. Doch letztlich wartet die Frau in Paris. Sie hatte ihn vermisst. Das Ende des Krieges hat die Menschen verändert. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Baker beschreibt das Nachkriegsleben anschaulich: Kinder mit Narben, fehlenden Finger, zerlumpt. Sie stehlen Essen und wohnen in Trümmern, ohne Eltern, in Banden.
Die Kriegsjahre, so die Autorin in ihren angehängten Anmerkungen, markieren tatsächlich auch einen grundlegenden Wandel in Becketts Schreiben. Als der Krieg ausbrach, war er bereits ein Schriftsteller, der publiziert hatte. Doch die Texte aus dieser Zeit wirken wie die eines hochbegabten Jugendlichen, der von den Einflüssen anderer erdrückt wird. Sie markieren den Beginn der Verknappung der Sprache, den Verzicht auf Wortspiele und polyphone Extravaganz á la Joyce. Später ist sein Schreiben erfahrungsgesättigt, Sprache und mit ihr Humanität müssen erst zurückgewonnen werden.
Überleben, damit Leben möglich wird
Der Krieg verlangte Beckett große moralische Entscheidungen ab. Er kam mehrfach in Situationen, die von ihm Mut, Mitgefühl und Anstand abverlangten. Schließlich beschloss er auch, dem Krieg in Frankreich an der Seite seiner Freunde statt ihn im neutralen Irland zunächst auszusitzen. Er beschloss zu überleben, damit ein Leben und Schreiben danach möglich wird. „Ein Ire in Paris“ entspringt einer großen Bewunderung sowohl für das Werk als auch für den Menschen Samuel Beckett. Es ist der Versuch, eine fiktive Version dieser Geschichte zu erzählen, die Licht auf beide Aspekte wirft, ohne zu viel hineinzuinterpretieren.
Jo Baker: Ein Ire in Paris
Knaus-Verlag 2016
348 Seiten
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