Xavier Dolans neuer Film „Matthias & Maxime“ schafft es wieder, zu berühren und aufzuwühlen – und ist am 20. August um 21:30 Uhr noch einmal im Sommerkino der Schaubühne Lindenfels zu sehen
Ende Juli ist endlich der neueste Film von Xavier Dolans, Matthias & Maxime (2019), in den deutschen Kinos angekommen. Ein einprägsamer, sehenswerter Film über die verschiedensten Facetten von Freundschaft.
Eine Begegnung mit unerwarteten Folgen
Im Fokus des Filmes stehen Matthias (Gabriel D’Ameida Freitas) und Max (Xavier Dolan), die seit jüngster Kindheit an befreundet sind. Wir begleiten sie bei Gesprächen und bei gemeinsamen Feiereien im Freundeskreis. Während einer geselligen Zusammenkunft sucht die Schwester eines gemeinsamen Freundes zwei „Schauspieler” für einen Kurzfilm: Max meldet sich freiwillig, während Matthias mitmachen muss weil er eine Wette verliert. Nur später erfahren sie, dass sie eine Szene darstellen sollen, in der sie sich küssen. Das löst in beiden ein unerwartetes inneres Durcheinander aus, mit dem sie unterschiedlich umgehen. Dolan fokussiert sich auf die inneren Auseinandersetzungen sowie auf die Entwicklung der zwei Hauptfiguren, während er gleichzeitig das soziale Umfeld der beiden darstellt. Einen Spannungsbogen erzeugt die baldige, zweijährige Reise Max’ nach Australien. Ähnlich wie in anderen Filmen Dolans werden die Ereignisse durch ästhetisch anspruchsvolle Bilder und sorgfältig gewählte Musik untermalt.
Psychologische und bildhafte Kontraste
Die wichtigsten (sowohl inneren als auch äußeren) Auseinandersetzungen des Films finden während geselliger Zusammenkünfte des gemeinsamen Freundeskreises von Matthias und Max statt. Die Szenen wirken nach anderthalb Jahren Kontaktbeschränkungen beinahe utopisch und wecken unwillkürlich nostalgische Gefühle an frühere Zeiten. Zwar sind die Dialoge zu Beginn etwas holprig und einige Szenen gekünstelt, diese Eindrücke werden alsbald überschrieben. Wir tauchen ein in die Dynamik des Freundeskreises, wir lachen mit ihnen, wir ergreifen Partei, wir sind dabei, inmitten der Ereignisse. Die teils sehr zugespitzten Figuren (wie zum Beispiel Erika, die den erwähnten Kurzfilm dreht und ein verwöhntes „Millennial”-Kind aus noblem Hause ist oder ihre Mutter mit ihren Ü-60-Freundinnen, deren Haupttätigkeit auf angetrunkenes Kichern reduziert ist) sind zwar mitunter am Anfang etwas anstrengend, das verzeihen wir aber Dolan sogleich. Denn einerseits kompensiert dafür reichlich die psychologische Raffinesse des Regisseurs bei der Darstellung der zwei Hauptfiguren und deren Interaktionen, andererseits erfüllen diese Figuren eine wichtige Funktion: Sie schaffen Kontraste. Diese gibt es zuhauf. Beispielsweise bei der Darstellung der unterschiedlichen Generationen: Die Generation der bereits digitalisiert aufgewachsenen Jugend; die Generation von Matthias und Max, in dessen Alltag Virtualität zwar eine Rolle spielt, die aber noch ohne virtuelle Kommunikation aufgewachsen ist sowie die älteste Generation, die der Eltern. Oder bei der Darstellung der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, denen die Mitglieder der Clique angehören. Durch diese Darstellung entstehen auch automatisch bildhafte Kontraste, und zwar zwischen den verschiedenen Räumen. Diese nahezu unmerklich eingebauten Kontraste sind es unter anderem, die den Film zu etwas Besonderem machen. Ein weiterer außergewöhnlicher Aspekt ist die Sprache. Das Quebecer Französisch, in das sich oftmals englischer Slang mischt, ist eine wahre Kuriosität, die man nicht allzu oft zu hören bekommt. Aber es ist keineswegs ausschließlich Sprache, durch die Dolan den Zuschauer*innen etwas vermitteln vermag: Eindrückliche Bilder sind ein sehr bewusst eingesetztes, mächtiges Werkzeug Dolans, deren Kraft durch Musik noch intensiviert wird.
Unausgesprochene Spannung
Das innere Ringen Matthias’ wird durch geschickt gewählte Musik veranschaulicht. Das Gefühlschaos, den der Kuss mit Max in ihm auslöst, passt nicht in sein geordnetes Leben mit fester Freundin und einem sicheren Job. Er versucht, sich von den Freunden und von Max abzugrenzen. Von heute auf morgen ist er Letzterem gegenüber harsch, verletzend, abweisend und verhält sich von außen betrachtet auf eine unverständliche Weise. Max, der bald verreisen wird und der vor einer unbekannten Zukunft steht, ist von seinem Verhalten verwirrt. Gleichzeitig muss er sich um seine drogenabhängige Mutter kümmern. Während des ganzen Filmes schwebt zwischen den beiden eine unausgesprochene Spannung mit, die sich auf vielerlei Weisen manifestiert und die eine Klärung verlangt. Dolan löst diese Spannung auf eine raffinierte Art nur teilweise und auf Umwegen auf. Das Spiel der beiden wirkt authentisch und es ist spannend, Dolan selbst auf der Leinwand zu sehen.
Freundschaft in allen Facetten
Dolan schafft es auf eine authentische Weise zu vermitteln, was Freundschaft alles bedeuten kann. Denn um diese geht es ihm in diesem Film, wie er auf einer Pressekonferenz in Cannes ausführte. Bis zur Morgendämmerung anhaltende Feiereien, gemeinsame Erlebnisse, Nostalgie, Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit, Loyalität, aber auch Verletzungen, Eifersucht, Schmerz, Unverständnis und Vergebung – ein intensiver emotionaler Raum, in dem sich unter Umständen die Art und die Intensität der emotionalen Bindung verändern, in Uneindeutigkeit abgleiten kann. Ob die beiden noch einmal zueinander finden und wenn ja, auf welcher Ebene? Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen.
Jeder Film ein eigenes Universum
Man kann zwar Parallelen zu anderen Filmen Dolans entdecken (Abwesenheit der Väter, problematische Mutter-Sohn-Beziehung, die bedeutende Rolle der Musik), aber man sucht vergeblich nach einer Kontinuität. Denn er schafft es, mit jedem seiner Filme ein eigenes Universum zu erschaffen, und das stets auf hohem Niveau. Die Filme Dolans zeigen, dass er in einer stetigen Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen steht und diese auf eine anspruchsvolle Weise verfilmen kann. Dabei tragen all seine Filme seinen individuellen Fingerabdruck, ohne sich zu wiederholen. Gelobt sei Xavier Dolan, der es mit seinen Filmen immer wieder schafft, zu berühren, aufzuwühlen, mitzufühlen und dankbar zu sein!
Matthias & Maxime
Kanada, 2018, 122 Minuten
Regie: Xavier Dolan; Darsteller*innen: Xavier Dolan, Gabriel D’Ameida Freitas, Adib Alkhalidey, Micheline Bernard, Catherine Brunet, Marilyn Castonguay, Harris Dickinson, Anne Dorval, Pier-Luc Funk, Samuel Gauthier, Antoine Pilon
Der Film ist (synchronisiert) am 20. August um 21:30 Uhr im Sommerkino der Schaubühne Lindenfels in der Plagwitzer Markthalle zu sehen. Die anderen Filme des Regisseurs sind in der Online-Mediathek der Stadtbibliothek (www.filmfriend.de) verfügbar.
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