Goethe als unsichtbarer Gast

200 Jahre nach der Lyrik-Anthologie „West-östlicher Divan“ veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag eine empfehlenswerte Fortsetzung – was den alten Dichterfürsten sicher gefreut hätte

Ein neuer Divan – Ein lyrischer Dialog zwischen Ost und West beginnt mit einem kompetenten Vorwort, das die Entstehungsgeschichte, die mit Hafis und Goethe beginnt, bis zu den Beiträgen der 24 Dichter bzw. Essayisten widerspiegelt.

Gearbeitet wurde mit Interlinear-Übersetzungen von Dichtern und Übersetzern gemeinsam oder von einzelnen Autoren im Original auf Deutsch geschriebenen Gedichten bis zu Brückenübersetzungen. Als Brückenübersetzung bezeichnet man Texte, die vom Übersetzer im Erwägen der möglichen Nachdichtung formuliert werden, die nach Form und Klang der Originalsprache entstanden. Ein umfangreicher Anhang hilft weitere Bezüge und Textversionen zu verstehen. So gibt es auch für die englische Leserschaft eine Ausgabe dieses Buches, die eigene Variationen der Nachdichtung findet.

Jubiläum leider ohne CD-Beigabe

Wohl zumindest ein „redliches Bemühen“, wo nicht ein „trefflich“ hätte Goethe angemerkt, wenn er den Austausch anlässlich des 200. Jubiläums an der Barenboim-Said-Akademie als unsichtbarer Gast hätte hören können. Nicht nur Autoren, Übersetzer und Literaturwissenschaftler, auch Musiker waren eingeladen. Die musikalischen Darbietungen, etwa die Beigabe einer CD, vermissen wir allerdings. Das 1999 von Barenboim und Said gegründete West Eastern Divan Orchestra, das zum Jubiläum auftrat, hätte unseren Eindruck sicher vervollkommnet.

Neben zahlreichen Mitwirkenden aus aller Welt versammeln sich u. a. an deutschsprachigen Lyrikschaffenden: Durs Grünbein, Uljana Wolf, Jan Wagner, Lutz Seiler, Thomas Kunst, Nadja Küchenmeister, Ron Winkler, Norbert Hummel, Silke Scheuermann, Björn Kuhligk – kurzum: die Crème de la Crème deutscher Lyrik.

Kongeniale Erwiderung statt wortgetreue Übersetzung

Im essayistischen Teil erklärt Stefan Weidner die Aufgaben des Übersetzers. Goethe hatte Hafis als freien Dichter und nicht dogmatisch an den Islam gebunden empfunden. So sieht auch er dessen Werk eher als kongeniale Erwiderung denn als wortgetreue Übersetzung. In diesem Sinne arbeiten auch die aktuellen Dichter eher im Geiste der Interpretation zum vorliegenden fernöstlichen Werk, als auf einer formalen, akribisch rekonstruierenden Fassung zu bestehen. Goethe freilich näherte sich Hafis an, während heute der geographische Raum nicht mehr nur im Dichtergarten von Schiras zu orten wäre, sondern auf den Flügeln der Dichtung aus den Ländern und Gefilden der Gastarbeiter und Asylanten, wenn diese sich hier auch aus deren gebildeter, oftmals akademischer Schicht postuliert.

Sibylle Wentke würdigt in ihrem Essay die lange von abwertenden Urteilen diskreditierte Leistung Joseph von Hammer-Purgstalls. Er war jener Übersetzer, dem Goethe die erste Lektüre der Gedichte des Hafis verdankt. Führender Orientalist und Kenner des Arabischen aus Österreich, wurde ihm seine Pioniertat schlecht vergolten, und die Kollegen haben ihn in einem seltsamen Korpsgeist mittels Gänsefedern und Tinte, Schreibmaschinen bis zur Tastatur unserer Computer bekrittelt und verspottet. Während Sibylle Wentke seine Leistung anerkennt, widerspricht hingegen Hendrik Birus, der außerdem im vorliegenden Buch sehr profunde Textbeispiele über Divan-Echos in deutscher Literatur, von Goethe über Brecht bis zu Robert Gernhardt, nennt.

Keine akademische Zulassungsstufe

Nun soll aber alle Wissenschaft nicht Einschüchterung sein, es gilt keine akademische Zulassungsstufe, wo Gedichte sind. Jedes einzelne vermag zu wirken. Wie heißt es doch im „Gesang des Schankwirts“ Von Clara Janés, nachgedichtet von Elke Erb:

„denn das Wort ist ein Fächer, und es erzählt vom Rosenkranz der Liebe und der Wissenschaft.“

Wie lesen wir doch in den Versen des eher galligen Don Paterson, dessen Herkunft an anderen Rosenkranz erinnert:

„Poeme muss man anders lesen/Achtsam, auf der Hut,/ Und was niemals drin gewesen/überrascht dich, eine Flut.“

Der Divan war vor 200 Jahren wie das heutige Werk auch als Aufruf zur Toleranz, zum gegenseitigen Kennenlernen und Frieden gedacht. Die Menschen in Schiras im Iran, das belegen Umfragen, kennen Goethe und Hafis, sprechen die Verse der Dichter auswendig.

Zu empfehlen für alle, die für Lyrik und die Verständigung für Westen und Osten, zwischen Orient und Okzident offen sind!

Barbara Schwepcke, Bill Swainson (Hrsg.): Ein neuer Divan – Ein lyrischer Dialog zwischen Ost und West

Suhrkamp-Verlag 2019

228 Seiten

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