Im Bann von Benn

Büchersonntag, Folge 11: Lea Singer bildet in „Die Poesie der Hörigkeit“ ein halbes Jahrhundert ab und verbindet dies mit einer erschreckenden Liebesgeschichte

Es ist ein verstörendes Buch, das die Romanautorin dem Leser anbietet. Behandelt wird die Obsession eines 12-jährigen Mädchens, das sich in einen Freund der Mutter verliebt. Der Mann schlägt beide Frauen in Bann. Er heißt Gottfried Benn, schreibt Gedichte und ist Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Erzählt wird eine unglaubliche Geschichte von Empfindlichkeit, Zartheit in Zeiten des Ersten Weltkrieges und von einem Mädchen, das seine Jugend zwischen Dresden und St. Moritz, Bodensee und Berlin, Sinnleere und Einsamkeit im Pariser Exil verbringt.

Zwar ist Mopsa entsetzt von den Zeilen des fremden Mannes, doch verfällt sie ihm. Das Mädchen mit dem Verstand einer Fünfzigjährigen ist die Tochter von Thea, einer reichen Erbin mit Hang zum Höheren, und Carl, einem erfolgreichen Bühnenautor, der ihr nachstellt. Sie sucht in Benn Halt und Verlässlichkeit, etwas, das sie in ihrer verwöhnten Welt nicht bekommt. Eine kaltheiße Liebesgeschichte entbrennt, von der sich die Protagonistin zeitlebens nicht erholen wird. Seine Poesie wird zum Sound ihres Schicksals, zur „Poesie der Hörigkeit“.

Mopsa stürzt immer wieder ab, nimmt Drogen, verführt Männer, macht Entziehungskuren, leidet unter Benns Beziehungen, sucht seine Nähe und geht auf Distanz und hofft vor allem, dass sie der Familienpoet aus ihrem Liebeswahn rettet und sich zu ihr bekennt. Eines Tages wächst sie über sich hinaus und will wissen, ob es ihr gelungen ist, sich von Benn zu lösen. Singers 6. Roman ist ein Drama, das ein halbes Jahrhundert abbildet. Dabei spart es auch nicht die zeitweilige Liaison Benns mit nazistisch-biologistischem Gedankengut nicht aus.

Lea Singer: Die Poesie der Hörigkeit

Hoffman und Campe 2017

221 Seiten

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