Ist Alice Hasters‘ Antirassismus-Buch rassistisch?

Büchersonntag, Folge 13: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ ist unbequem, aber wichtig

Alice Hasters ist verärgert. Und das schon lange. Man merkt es ihrem Buch an, einem Debüt. Es ist ein persönliches Buch geworden mit dem langen Titel Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten. Den erhobenen Zeigefinger hört man dabei auch in der von ihr selbst vorgelesenen Hörbuchfassung. Inzwischen gibt es Ausschnitte davon auch auf YouTube.

Die Autorin beschreibt, wie sie alltäglichem Rassismus begegnet: egal, ob dieser offen oder verdeckt, bewusst oder unbewusst, intendiert oder nicht intendiert ist. Alice ist selbst „schwarz“, aber das tut nichts zur Sache, könnte man meinen, da es ja um ein Phänomen geht, das nicht nur sie betrifft, sondern tausende andere Menschen z.B. in Deutschland. Aber damit liegt der Leser schief.

Im Unterschied zum Sachbuch geht es in der belletristischen Literatur – und das Buch ist eine Mischung aus beidem – vor allem um die Innenperspektive, das Empfinden der Protagonisten. Und dieses Empfinden steht im Vordergrund dieses Buches mit autobiographischen Zügen. Gleichwohl ist es wie ein Sachbuch in Bereiche eingeteilt: Alltag, Schule, Körper, Liebe und Familie – und verfügt über ein Glossar. Die Journalistin und Bloggerin verankert die persönlichen Erfahrungen in einen historischen Kontext, denn Rassismus ist ein strukturelles Problem, auch in Deutschland.

Gegen Vorurteile, unüberlegte Wortwahl und unbewusste Haltungen

Nun wurde Hasters vorgeworfen, im Buch selbst rassistisch zu sein. Ist das wahr? Fakt jedenfalls ist, dass die Autorin beim Leser bzw. der Leserin mit Vorurteilen, unüberlegter Wortwahl und unbewussten Haltungen aufräumen möchte. Dabei geht es nicht allein um Betroffenheitsgeschichten. Vielmehr wird dem oder der Lesenden bewusst, was ihr oder ihm hin und wieder unterläuft oder rausrutscht oder was er oder sie pointiert sagen will. Die Behauptung des Comedians Dieter Nuhr, ob dieses Buch eine Contradictio in Ajecto ist, also den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, lässt sich überprüfen. Ob er tatsächlich beim Anblick des Covers an eine Afroamerikanerin denkt, wie ihm unterstellt wird, kann allerdings nur er selbst sagen. Fakt ist, dass Hasters’ Mutter eine schwarze US-Amerikanerin ist und ihr Vater ein weißer Mann aus Deutschland.

Hasters’ Sachbiographie ähnelt in Titel und Aussage dem ebenfalls 2019 erschienenen Buch von Reni Eddo-Lodges Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche. In beiden Büchern geht es um Erfahrungen schwarzer Menschen in weißen Gesellschaften, hier Deutschland, dort Großbritannien. Kaum ein demokratisch gesinnter Mensch möchte beiden Autoren ihre Erfahrungen absprechen, denn es nicht zu leugnen, dass es in Europa immer noch Rassismus gibt. Laut bundesdeutscher Antidiskriminierungsstelle wurden zwischen 2017 und 2020 offiziell über 5.300 Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert. Die Dunkelziffer von rassistischen Übergriffen dürfte höher liegen.

Die 1989 in Köln geborene Postcasterin Alice Hasters wiederholt in ihrem Buch nicht nur die Benachteiligungen am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche oder ethnischem Sexismus. Vielmehr appelliert sie an das Einfühlungsvermögen vor allem weißer Menschen. Sie fordert nicht nur dazu auf, respektvoller miteinander umzugehen, sondern hilft dabei, rassistische Strukturen besser erkennen zu lernen. Natürlich legt sie dabei hin und wieder auch den Finger in die Wunde. Denn es sind nicht einzelne fehlgeleitete Menschen, die rassistisch sozialisiert werden, längst – wenn nicht schon immer – sind Alltagsrassismen strukturell geworden und finden sich in Einrichtungen der Gesellschaft und des Staates wieder. Sie haben eine lange Geschichte, die es gründlich zu reflektieren gilt, meint Hasters.

Nicht beleidigend

Daher fordert die junge Autorin mehr Aufmerksamkeit für Sprache und Denken. Als 2008 Noah Sows Buch Deutschland Schwarz Weiß erschien, fühlten sich viele Weiße beleidigt. Aber Hasters’ Buch ist nicht beleidigend. Sie liefert Geschichten und Vorschläge, wie es besser gehen könnte: durch bewusste Konfrontation, durch respektvolles Zuhören, die Dinge beim Namen nennen, durch positive Bilder in den Medien und der Öffentlichkeit, mehr Geschichten zum Thema und mehr Kontakt und Information. Und sie weist darauf hin, dass Deutschland in puncto Antirassismus noch eine Menge Aufholbedarf in der Bevölkerung hat.

In ihrem Buch mit dem oberlehrerhaften Titel betritt sie auch das hypersensible Terrain zwischen (Schuld) Zuweisung und Intention (des vermeintlich Schuldigen). So bleibt es nicht aus, dass Unterstellungen getätigt werden, Naivitäten als Absichten, wohlwollender Kontaktversuch als verdeckter und unbewusster Rassismus geraten. Es bleibt dabei nicht aus, dass die daraus gezogenen Schlussfolgerungen einen Vorwurfscharakter erhalten. Sie bekommen eine Schärfe, die man besser mit Nachsicht und Humor entwaffnet.

Großes Aber: Vorwürfe können spalten

Schließlich, und um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Hasters’ Buch ist weit davon entfernt, rassistisch zu sein. Es will weiße Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer Merkmale diskriminieren. Daher: ein wichtiges und unbequemes Buch. Wer es liest oder hört, wird sensibler. Aber wir müssen alle aufpassen, dass bei aller gebotenen Political Correctness die Kommunikation der Kontrahenten erhalten bleibt. Wer die metonymische Rede von der weißen Mittelstandsgesellschaft allzu sehr auf sich persönlich bezieht, fühlt sich im Buch ggf. mit Vorwürfen konfrontiert, die ihn oder sie zur Abwehrhaltung führen könnten. Deswegen mein Vorschlag für alle künftigen Sachbiografien: Seid gewahr, dass Vorwürfe spalten; ein belehrender Ton verschließt die Ohren; Beleidigttun lässt einen die Augen verdrehen. Und nicht immer liegt es beim Leser allein, wenn etwas „falsch“ aufgenommen wird.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten

Carl Hanser Verlag Berlin 2019

220 Seiten.

Auch als Hörbuch bei Audible.

2 Kommentare anzeigen

  1. Gut zusammengefasst, differenziert, formuliert und sachlich korrekt dargestellt. Ein sehr schönes Fazit geschrieben. Qualitätsjournalismus.
    Herzlichen Dank dafür, ganz ohne Sarkasmus.

    1. Lieber Phil, danke für Deinen Kommentar. Es freut mich, wenn Dir mein Beitrag gefallen hat. Ab diesem Monat startet der Almanach auch wieder durch mit neuen Beiträgen. Vielleicht ist ja wieder etwas dabei, das Dir gefällt. Liebe Grüße!

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